Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 304
§ 287 ZPO regelt eine mögliche Schadensermittlung durch das Gericht. Streiten die Parteien darüber, ob ein Schaden entstanden ist oder wie hoch der Schaden ist, kann hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung entscheiden. Das gilt für diejenigen Fälle, in welchen die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teils der Forderung außer Verhältnis stehen, § 287 Abs. 2 ZPO. Die Norm verzichtet damit für bestimmte Anspruchsvoraussetzungen auf das Erfordernis des Wahrheitsbeweises nach § 286 ZPO. An der Beweislastverteilung ändert die Normierung allerdings nichts.
Rz. 305
Für den Rechtsanwalt, welcher den Kläger vertritt, kann diese Vorschrift die Beweisbarkeit, insbesondere der Höhe eines Schadens, deutlich erleichtern. § 287 Abs. 1 ZPO umfasst aber ebenfalls eine Beweiserleichterung für die Kausalität zwischen dem anspruchsbegründenden Geschehen und der Schadensfolge. Auch bei der Beweisbarkeit einer Schadensentstehung kann also das Gericht gebeten werden, nach § 287 ZPO zu verfahren.
Rz. 306
Eine gerichtliche Schätzung setzt indes das Vorliegen genügender tatsächlicher Anknüpfungstatsachen voraus.
Rz. 307
Relevant wird die Vorschrift vor allem bei durch Vertragsverletzungen entstandene Schäden, weil diese häufig kaum nachweisbar sind, oder auch in Bezug auf die Höhe einzelner durch Verkehrsunfälle hervorgerufener Schäden.
Rz. 308
Praktische Beispiele für die Geltung des § 287 ZPO sind:
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die Ermittlung des Erwerbsschadens oder des entgangenen Gewinns, |
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die Ermittlung des vom Gläubiger abstrakt nach Maßgabe des Marktzinses berechneten Verzugsschadens, |
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die Verursachungsbeiträge im Rahmen von § 254 BGB, |
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die Verhältnismäßigkeit von Kfz-Reparaturkosten, |
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die Schätzung des Mindestbetrags eines merkantilen Minderwerts, |
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die erforderlichen Mietwagenkosten, |
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der unfallbedingte Mehrbedarf, |
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der durch eine Wettbewerbsverletzung hervorgerufene Schaden und |
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die angemessenen Lizenzgebühren bei einer Verletzung von Patenten oder Marken. |
Rz. 309
Das Gericht kann anhand allgemeiner Erfahrungen schätzen. Dennoch sind alle in Betracht kommenden Anhaltspunkte für die Schadenshöhe vom Rechtsanwalt vorzutragen, um die Schätzung im Sinne seines Mandanten zu ermöglichen. Ein bezifferter Antrag bleibt grundsätzlich erforderlich.
Rz. 310
Befürchtet der Rechtsanwalt, dass die Schätzung für seinen Mandanten nachteilig ausfallen könnte, sollte er darlegen, dass mit verhältnismäßigen Mitteln möglich ist, den genauen Schadensbetrag zu ermitteln. Dann darf das Gericht dem Kläger einen entsprechenden Beweisantritt nicht zur eigenen Entlastung verwehren.
Rz. 311
Bei der Beweiserleichterung durch Schadenschätzung nach § 252 S. 2 BGB kann der Rechtsanwalt strategisch wählen: Zur Schadensermittlung kann er abstrakt vortragen. Er kann aber auch die besonderen Umstände vortragen, also die konkrete Schadensermittlung geltend machen.