Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 368
Unter bestimmten Voraussetzungen kann ein Gläubiger auch per Eilverfahren seine Ansprüche geltend machen oder zumindest sichern. Dafür stehen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes hauptsächlich der Arrest (§§ 916 ff. ZPO) und die einstweilige Verfügung (§§ 935–945 ZPO) als Verfahrensarten zur Verfügung.
I. Effektiver Rechtsschutz
Rz. 369
Die Eilverfahren dienen einem effektiven Rechtsschutz. Maßgebend für die Auswahl der Verfahrensart ist das Begehren des Antragstellers. Zwischen dem Arrest und der einstweiligen Verfügung ist wie folgt zu unterscheiden:
Rz. 370
Der Arrest besteht nach § 916 Abs. 1 ZPO bei Ansprüchen zur Sicherung der Zwangsvollstreckung wegen
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einer Geldforderung oder |
▪ |
eines Anspruchs, der in eine Geldforderung übergehen kann. |
Rz. 371
Im Gegensatz dazu steht der Anwendungsbereich der einstweiligen Verfügung:
Sie richtet sich nicht auf die Sicherung von Geldforderungen, sondern auf den Schutz von Individualansprüchen (z.B. Ansprüche auf Herausgabe oder Leistung).
Rz. 372
Bei der Abgrenzungsschwierigkeit zum Arrest ist des Weiteren entscheidend, ob es dem Gläubiger vorrangig auf die Sicherung der Forderung (dann: Arrest) oder auf eine vorläufige Befriedigung (dann: einstweilige Verfügung) ankommt.
II. Arrest
Rz. 373
Beim Arrest wird zwischen dem dinglichen und dem persönlichen Arrest unterschieden. Der dingliche Arrest richtet sich auf das Vermögen des Schuldners und der persönliche Arrest gegen den Schuldner selbst. Neben der eigentlichen Forderung (Arrestanspruch) selbst muss ein Arrestgrund vorhanden sein.
Rz. 374
Beim dinglichen Arrest in das Vermögen des Schuldners besteht nach § 917 ZPO ein Arrestgrund, wenn:
▪ |
zu besorgen ist, dass anderenfalls die Vollstreckung eines Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde, z.B. bei auffälligen Vermögensveräußerungen des Schuldners oder bevorstehenden Einwirkungen Dritter, oder |
▪ |
das Urteil im Ausland vollstreckt werden müsste, außer wenn besondere Vollstreckungsübereinkommen bestehen. |
Rz. 375
Beim persönlichen Arrest gegen den Schuldner ist ein Arrestgrund gemäß § 918 ZPO nur gegeben, wenn kein anderes Sicherungsmittel, insbesondere der dingliche Arrest, vorhanden ist.
Rz. 376
Das ist z.B. der Fall, wenn:
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der Schuldner sein Vermögen versteckt oder |
▪ |
der Schuldner die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verweigert. |
Rz. 377
Kein Arrestgrund ist gegeben, wenn:
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die spätere Vollstreckung nur an der schlechten Vermögenslage des Schuldners scheitern würde, |
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der Gläubiger der Konkurrenz durch andere Gläubiger zuvorkommen will oder |
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der Schuldner gar kein Vermögen hat. |
III. Einstweilige Verfügung
Rz. 378
In diesem Eilverfahren kommt es auf die Sicherung von Individualansprüchen an. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt regelmäßig einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund voraus.
Rz. 379
Es wird unterschieden zwischen:
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der Sicherungsverfügung (§ 935 ZPO), |
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der Regelungsverfügung (§ 940 ZPO) und |
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der Leistungsverfügung ("Befriedigungsverfügung"). |
▪ |
Die in der Praxis bedeutsame Unterlassungsverfügung (vgl. das Handlungsverbot unter § 938 Abs. 2 ZPO) ist im Sinne der vorstehenden Einteilung in der Regel Sicherungs- und Regelungsverfügung, unter Umständen auch Leistungsverfügung. |
Rz. 380
Die Maßnahme darf (außer vorläufig bei der Leistungsverfügung)
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nicht zur Gläubigerbefriedigung führen (keine Vorwegnahme der Hauptsache), |
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nicht über den Hauptanspruch hinausgehen und |
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keine endgültige Vollziehung enthalten. |
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Außerdem muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt sein. |
1. Sicherungsverfügung
Rz. 381
Die Sicherungsverfügung sichert einen Individualanspruch auf eine gegenständliche Leistung.
Rz. 382
Ein Verfügungsanspruch ist z.B. vorhanden bei:
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einem Anspruch auf Herausgabe oder einem Leistungsanspruch, |
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der Änderung oder Übertragung von Rechten, |
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dem Anspruch auf Abgabe einer Willenserklärung oder |
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dem Anspruch auf Unterlassung. |
Rz. 383
Der erforderliche Verfügungsgrund ist dann die objektive Besorgnis, dass die Anspruchsverwirklichung durch eine Zustandsänderung gefährdet ist, z.B. durch:
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das Veräußern oder Wegschaffen, |
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eine Belastung, |
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das Verarbeiten oder eine wesentliche Substanzveränderung, |
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einen bevorstehenden Eingriff in Rechte. |
2. Regelungsverfügung
Rz. 384
Die Regelungsverfügung klärt einstweilen ein streitiges Rechtsverhältnis, z.B.
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die gemeinsame Nutzung von Miet- oder Pachtsachen, |
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gesellschaftsrechtliche Geschäftsführungsbefugnisse. |
Rz. 385
Der gesetzlich geforderte Verfügungsgrund liegt in der objektiven Notwendigkeit einer einstweiligen Regelung zur Wahrung des Rechtsfriedens, insbesondere zum Abwenden wesentlicher Nachteile oder zur Gewaltverhinderung.
3. Leistungsverfügung
Rz. 386
Die Leistungsverfügung wird im Allgemeinen auf § 940 ZPO gestützt und ermöglicht zur Existenzsicherung die – ausnahmsweise zulässige – vorläufige Anspruchsbefriedigung.
Der Verfügungsanspruch ist gegeben etwa
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bei der Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter, |
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bei verbotener Eigenmacht i.S.v. § 858 BGB z.B. bei possessorischen Besitzschutzansprüchen aus §§ 861, 862 BGB, |
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