Rz. 132
§§ 2038 Abs. 2, 743 Abs. 2 BGB gewähren jedem Miterben ein selbstständiges Recht zum Besitz an den Nachlassgegenständen. Der Miterbe muss etwaigen Widerspruch nicht erst durch Klage brechen. So wie § 743 Abs. 1 BGB sich auf die Regelung der Beteiligung beschränkt, regelt § 743 Abs. 2 BGB lediglich das Maß des Gebrauchs, nicht jedoch die Art und Weise. Auch hier gilt: Art und Weise des Gebrauchs werden durch Mehrheitsbeschlussgeregelt. Im Rahmen der von den Miterben getroffenen Regelung über die Art und Weise der Nutzung bestimmt dann § 743 Abs. 2 BGB, dass jeder Miterbe insoweit zum Gebrauch berechtigt ist. Ein Miterbe kann einen Ausgleich in Geld für Benachteiligungen bei der Nutzung nur dann verlangen, wenn
a) |
eine entsprechende – auch stillschweigende – Benutzungsvereinbarung vorliegt, oder |
b) |
ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 745 Abs. 2 BGB gestellt wurde, oder |
c) |
die Miterben den Gebrauch hartnäckig verweigern. |
Jedoch hat der benachteiligte Miterbe auch in den Fällen b) und c) nicht ohne Weiteres einen Anspruch auf Nutzungsentschädigung. Bei der Prüfung ist stets darauf zu achten, ob die begehrte Nutzungsentschädigung billigem Ermessen entspricht. Dies betrifft nicht bloß den Anspruch der Höhe, sondern auch dem Grunde nach. Verweigern einer oder mehrere Miterben ihre Zustimmung zu einer Benutzungsvereinbarung oder Zahlung einer Nutzungsentschädigung, die billigem Ermessen entspricht, so können sie sich dadurch schadensersatzpflichtig machen.
Ein etwaiger Anspruch auf Nutzungsentschädigung kann sogleich in Form einer Zahlungsklage verfolgt werden, weil sich der Anspruch auf Neuregelung der Benutzung aus dem Gesetz ergibt und vom Richter nur festgestellt, nicht aber erst im Wege der Gestaltungsklage begründet wird.
Allein der Umstand, dass ein Miterbe von seinem Recht gem. § 743 Abs. 2 BGB keinen Gebrauch macht, gewährt ihm noch keinen Ersatzanspruch gegen die übrigen Miterben. Eine Nutzungsentschädigung steht dem Miterben daher frühestens ab dem Zeitpunkt zu, ab dem er gem. § 745 Abs. 2 BGB eine Neuregelung von Verwaltung und Benutzung verlangen kann und auch tatsächlich mit hinreichender Deutlichkeit verlangt hat. Die Miterben sind nicht verpflichtet, von sich aus den Mitgebrauch anzubieten. Im Gegensatz zur Regelung in § 743 Abs. 1 BGB über den Anteil an Früchten und Nutzungen, kann die Mehrheit der Erben für die Verwaltung nach § 745 Abs. 1 BGB eine von § 743 Abs. 2 BGB abweichende Regelung treffen.
Beispiel (Lösung Frage 8 – Rdn 1)
Die von K2 bewohnte ETW ist in den Nachlass gefallen. Hat K2 bisher an E eine Miete gezahlt, so ist sie auch weiterhin verpflichtet, diese Miete zu zahlen – nunmehr an die Erbengemeinschaft. Sie darf die Miete auch nicht um ihren Anteil am Nachlass (1/4) kürzen: Inhaber der gesamthänderisch gebundenen Forderung ist die Erbengemeinschaft, über die ein Miterbe auch nicht teilweise zu seinen Gunsten verfügen darf.
Wohnte K2 bisher mietfrei, kommt es auf die Regelungen an, die sie mit E getroffen hatte; bspw. könnte die Mietfreiheit eine Gegenleistung des E zugunsten der K2 gewesen sein. Hieran müssen sich K1 und F eventuell dann festhalten lassen, da sie in die Rechtsposition des E eingetreten sind.
Rz. 133
In der Praxis sind häufig Fälle anzutreffen, in denen ein Miterbe – z.B. der überlebende Ehegatte – den Nachlass "allein in Besitz" nimmt. Dies geschieht bspw. in dem den übrigen Erben der Zugang zum Wohnhaus u.Ä. des Erblassers (und des überlebenden Ehepartners) verwehrt und hierdurch auch ein Zugang zu sonstigen im Haus befindlichen Nachlassgegenständen verhindert wird. § 2038 Abs. 2 i.V.m. § 743 Abs. 2 BGB gewährt hier jedoch den ausgeschlossenen Erben einen petitorischen Anspruch. Die vom Gebrauch ausgeschlossenen Erben sind somit nicht darauf beschränkt, lediglich die possessorischen Ansprüche über § 857 BGB geltend zu machen. Der vom Gebrauch ausgeschlossene Miterbe muss auch etwaigen Widerspruch nicht erst durch Klage brechen, da jeder Miterbe selbstständig zum Gebrauch der Nachlassgegenstände befugt ist, § 2038 Abs. 2 i.V.m. § 743 Abs. 2 BGB. Dabei ist es unerheblich, ob die gesamte Immobilie oder – wie häufig – lediglich eine ideelle Hälfte in den Nachlass gefallen ist (und die andere Hälfte dem überlebenden Ehegatten gehört).
Rz. 134
Nach § 745 BGB wird die Verwaltung und Benutzung von Nachlassgegenständen durch Beschluss der Erbengemeinschaft geregelt. Bei der Abstimmung ist jeder Miterbe stimmberechtigt. Für minderjährige, abwesende oder sonst an der Stimmabgabe verhinderte Erben bedarf es nur dann keines Pflegers, Vertreters u.Ä., wenn auch ohne diese Erben eine Mehrheit tatsächlich zustande kommt. Bei Interessenwiderstreit in eigenen Angelegenheiten hat der Miterbe kein Stimmrecht, bspw. wenn es um Ansprüche aus § 666 BGB gegen einen Miterben oder um die Entscheidung über die Entnahme von Aktien zum Zweck der Begleichung einer Forderung des Miterben geht....