Rz. 93

Bislang war es umstritten, ob eine Verfügung über einen Nachlassgegenstand abweichend von § 2040 BGB durch die Mehrheit der Miterben wirksam vorgenommen werden kann, wenn sie gleichzeitig eine Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung ist.[246] Nach einer Entscheidung des III. Senats des BGH aus dem Jahr 1965 können unter Umständen zur Verwaltung auch Verfügungen erforderlich werden, d.h. solche Handlungen, die die Substanz des Nachlasses durch Veräußerung oder Belastung von Nachlassgegenständen dinglich verändern.[247] In dem der Entscheidung zugrunde liegende Fall wäre ein zum Nachlass gehörendes Grundstück enteignet worden, wenn die Erben es nicht dem Land aufgelassen hätten. Ursprünglich ging der BGH mit der Mehrheit im Schrifttum davon aus, dass § 2040 BGB lex specialis zu § 2038 BGB ist.[248]

 

Rz. 94

Im Jahr 2005 hat der IV. Senat des BGH dieses strikte Regel-Ausnahme-Verhältnis deutlich ausgeweitet.[249] Der BGH formuliert im Leitsatz:

Zitat

"1. Zu den mitwirkungspflichtigen Verwaltungsmaßregeln gemäß § 2038 Abs. 1 S. 2 BGB zählen grundsätzlich auch Verfügungen über einzelne Nachlassgegenstände"[250]

In den Entscheidungsgründen heißt es weiter, dass zur gemeinschaftlichen Verwaltung

Zitat

"grundsätzlich auch Verfügungen über Nachlassgegenstände (zählen), nur muss neben der Ordnungsmäßigkeit die Erforderlichkeit einer solchen Verwaltungsmaßnahme durch besondere Umstände belegt sein, um eine Mitwirkungspflicht zu begründen".[251]

Letztlich hat der BGH somit noch eine weitere Voraussetzung (neben den oben unter Nrn. 1–3 bereits genannten) formuliert, bei deren Erfüllung dann auch eine Verfügung über einen Nachlassgegenstand eine "erforderliche Maßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung" sein kann: Die Erforderlichkeit muss danach zusätzlich "durch besondere Umstände" belegt sein. In der Folge hat allerdings kein Senat des BGH oder ein OLG dieses zusätzliche Erfordernis jemals erörtert.

Die Auffassung des BGH widerspricht zwar dem eindeutigen Wortlaut des § 2040 BGB, hat sich jedoch in der Rechtsprechung durchgesetzt.

 

Rz. 95

Auf die Entscheidung des IV. (Erbrechts-)Senats des BGH aus dem Jahr 2005 folgte zu diesem Problem die Entscheidung des Senats für Landwirtschaftssachen des BGH. In jener Entscheidung setzt sich der Senat mit der Entscheidung des IV. Senats (und der aufgestellten weiteren Voraussetzung der "besonderen Umstände"[252]) überhaupt nicht auseinander. Zitiert wird diese Entscheidung lediglich zur Beschreibung des Problems als "vgl. dazu".[253] Man könnte fast sagen, dass die Entscheidung inhaltlich ignoriert wurde.

Stattdessen setzt sich der Senat für Landwirtschaftssachen mit der Entscheidung des V. Senates aus dem Jahre 1962[254] auseinander, worin – ohne jeden Zweifel – § 2040 BGB als lex specialis zu § 2038 angesehen wurde. Auf "Anfrage" des Senats für Landwirtschaftssachen des BGH hat nunmehr der V. Senat erklärt, dass er an seiner Auffassung nicht mehr festhält.[255] Obwohl es für den Rechtsstreit überhaupt nicht darauf ankam,[256] hat der Senat für Landwirtschaftssachen in den Entscheidungsgründen dann ausgeführt, dass

Zitat

"viel (…) für die Auffassung (spricht), dass Verfügungen über einen Nachlassgegenstand als Maßnahmen ordnungsgemäßer Nachlassverwaltung wirksam mit Stimmenmehrheit vorgenommen werden können, wenn dadurch die auf den Erhalt des Nachlassbestandes gerichteten Interessen der anderen Miterben nicht beeinträchtigt werden. Denn sie steht im Einklang mit dem Zweck der Vorschrift des § 2040 Abs. 1 BGB".[257]

Weiter heißt es:

Zitat

"Die in der Vorschrift des § 2040 Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommende gesamthänderische Bindung der Miterben spricht andererseits nicht zwingend für die Notwendigkeit, Verfügungen über Nachlassgegenstände immer gemeinschaftlich vorzunehmen (anders Staudinger/Werner, a.a.O., § 2040 Rn 1). Die Regelungen in § 2038 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 i.V.m. § 745 BGB zeigen, dass der Gesetzgeber das Gesamthandsprinzip nicht strikt durchgehalten, sondern für die Fälle der ordnungsmäßigen und der dringend notwendigen Nachlassverwaltung Ausnahmen davon zugelassen hat. Dass diese nur bei Verpflichtungsgeschäften, nicht aber bei Verfügungen zum Tragen kommen sollen, ist jedenfalls dann nicht einsichtig, wenn sich die Verfügungen nicht nachteilig auf den Nachlassbestand auswirken."[258]

 

Rz. 96

Im Nachgang zu dieser Entscheidung haben neben dem Senat für Landwirtschaftssachen[259] der II. Zivilsenat[260] sowie der XII. Zivilsenat[261] in mehreren Entscheidungen die Auffassung geteilt, dass Verfügungen im Rahmen ordnungsgemäßer (Nachlass-)Verwaltung auch mit Stimmenmehrheit beschlossen und durchgeführt werden können.[262] Auch Oberlandesgerichte haben sich dieser Rechtsprechung angeschlossen.[263] Das – weitere – Erfordernis der "besonderen Umstände", die die Erforderlichkeit der Verwaltungsmaßnahme belegen, wird in diesen Entscheidungen hingegen – anders als in der Entscheidung des BGH[264] – nicht erwähnt.[265] Eine nachfolgende Entscheidung des IV. Zivilsenates – der dieses Erfordernis formulier...

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