Rz. 193

Ein Privatgutachten ist lediglich (qualifizierter substantiierter) Parteivortrag.[451]

BGH NJW 2016, 2328, 2333:

Zitat

Ein Gericht darf ein Privatgutachten zwar verwerten, hierbei aber nicht außer Acht lassen, dass es sich nicht um ein Beweismittel i.S.d. §§ 355 ff. ZPO, sondern um (qualifizierten) substanziierten Parteivortrag handelt. Eine eigene Beweisaufnahme des Gerichts, insbesondere die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens, wird durch ein Privatgutachten nur dann entbehrlich, wenn das Gericht allein schon aufgrund dieses Parteivortrags ohne Rechtsfehler zu einer zuverlässigen Beantwortung der Beweisfrage gelangen kann und die dafür erforderliche eigene Sachkunde darlegt.

Das Gericht kann sich allerdings trotzdem auch über ein Privatgutachten nur hinwegsetzen, wenn es bessere eigene Sachkunde nachweist.[452]

BGH NJW 2017, 3661:

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Der Tatrichter hat Einwendungen einer Partei gegen das Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen zu berücksichtigen. Er ist verpflichtet, sich mit von der Partei vorgelegten Privatgutachten auseinanderzusetzen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken, wenn sich hieraus ein Widerspruch zum Gerichtsgutachten ergeben kann. Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen hat er von Amts wegen nachzugehen und in diesem Rahmen gegebenenfalls auch ein weiteres Gutachten einzuholen.

Das Gericht ist gehalten, sich mit den Streitpunkten zwischen dem gerichtlichen Sachverständigengutachten und dem Privatgutachten sorgfältig und kritisch auseinanderzusetzen und die Streitpunkte zu würdigen. Insbesondere hat es zu begründen, warum es einem von ihnen den Vorzug gibt.

Diese Anforderungen an die Beweisaufnahme und deren Würdigung gelten unabhängig davon, ob das gerichtliche Sachverständigengutachten durch den Tatrichter oder im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens nach den §§ 485 ff. ZPO erholt worden ist. Das hat zur Folge, dass die Beweiserhebung aus dem selbstständigen Beweisverfahren fortzusetzen und gegebenenfalls ein weiteres Gutachten eingeholt werden muss, wenn sie dem Prozessgericht ergänzungsbedürftig erscheint, § 412 Abs. 1 ZPO.

Für den Arzthaftungsprozess vgl. BGH NJW 2015, 411:[453]

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In Arzthaftungsprozessen hat der Tatrichter die Pflicht, Widersprüchen zwischen Äußerungen mehrerer Sachverständiger von Amts wegen nachzugehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, auch wenn es sich um Privatgutachten handelt.

Weiter OLG Zweibrücken VersR 1998, 114:[454]

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Einwände gegen das Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen, die auf diese Weise geltend gemacht werden, muss das Gericht ernst nehmen; es muss ihnen nachgehen und den Sachverhalt weiter aufklären.

Das Gericht hat sich mit Einwänden eines Privatgutachtens ebenso sorgfältig auseinanderzusetzen, als wenn es sich um die abweichende Stellungnahme eines von ihm bestellten weiteren Gutachters handeln würde, (ebenso OLG Frankfurt NJW-RR 1998, 870).

Es darf dem gerichtlich eingeholten Gutachten nicht allein mit der Begründung den Vorzug geben, der gerichtlich bestellte und vereidigte Sachverständige sei zu größerer Neutralität verpflichtet.[455]

BGH NJW-RR 2014, 760:

Zitat

In Arzthaftungsprozessen hat der Tatrichter die Pflicht, Widersprüchen zwischen Äußerungen mehrerer Sachverständiger von Amts wegen nachzugehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, auch wenn es sich um Privatgutachten handelt.

In diese Richtung bereits OLG Oldenburg OLGR 1996, 10:[456]

Zitat

Das Gericht handelt verfahrensfehlerhaft, wenn es ohne weitere Aufklärung ein für eine Partei günstiges gerichtliches Sachverständigengutachten verwertet, das keine Auseinandersetzung mit einem von der Gegenpartei eingeholten Privatgutachten enthält, wenn den zu unterschiedlichen Ergebnissen kommenden Gutachten wesentlich voneinander abweichende medizinische Befunde zugrunde liegen und das Gericht die Sachkunde des Privatgutachters ausdrücklich nicht in Zweifel zieht, sondern dem gerichtlich bestellten Gutachter schlicht wegen dieser seiner Eigenschaft folgt.

BGH NJW-RR 2000, 44, 46:

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Ergeben Erkenntnisquellen einen entscheidungserheblichen Widerspruch, ist eine Überzeugungsbildung sachgerecht erst möglich, wenn die Widersprüche aufgeklärt sind. Für diese Aufklärung hat der Tatrichter zu sorgen. Diese aus § 286 ZPO folgende Pflicht besteht vor allem, wenn Sachverständige sich in streiterheblichen Punkten widersprechen […]

Die Notwendigkeit (eine ergänzende Stellungnahme oder ein weiteres Gutachten einzuholen) entfiel nicht deshalb, weil lediglich ein Privatgutachten zu berücksichtigen war. Bei jeder widersprüchlichen Begutachtung kann Anlass zu Zweifeln bestehen, ob eine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung gegeben ist, weshalb es bezüglich der Aufklärungspflicht des Tatrichters regelmäßig keinen Unterschied macht, ob Widersprüche innerhalb der Begutachtung durch einen Sachverständigen, zwischen mehreren gerichtlichen Sachverständigen oder zu einem von einer Partei vorgelegten Gutachten nachzugehen ist.[457]

BGH ...

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