Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 111
Zitat
"Das praktisch wichtigste und zugleich mit Abstand schlechteste Beweismittel ist der Zeuge."
So wie bei Schneider beginnen die meisten Abhandlungen zum Zeugenbeweis. Da der Zeugenbeweis aber ein unverzichtbares Beweismittel ist, kann die Konsequenz seiner Mängel nicht sein, dass sein Beweiswert von vornherein in Frage gestellt wird, sondern die Konsequenz kann lediglich sein, die Beweiserhebung und die spätere Würdigung des Zeugenbeweises mit besonderer Sorgfalt durchzuführen.
Wenn der Gesetzgeber in selbstverständlicher Kenntnis der Problematik dieses Beweismittels, den Zeugenbeweis in Abweichung von früheren Prozessordnungen uneingeschränkt zulässt, kann das Gericht nicht befugt sein, der Aussage bestimmter Beweispersonen, etwa am Ausgang des Rechtsstreits interessierter Verwandter oder Angestellter, schlechthin den Beweiswert abzusprechen. Da ein Interesse eines Zeugen am Ausgang des Rechtsstreits nicht gelegentliche Ausnahme, sondern die Regel ist, könnte sich das Gericht sonst die Zeugenvernehmung in den meisten Fällen von vornherein sparen.
Rz. 112
BGH NJW 1988, 566:
Zitat
Es verstößt gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung, den Aussagen von Insassen unfallbeteiligter Kraftfahrzeuge (sog. "Beifahrerrechtsprechung") oder von Verwandten und Freunden von Unfallbeteiligten nur für den Fall Beweiswert zuzuerkennen, dass sonstige objektive Gesichtspunkte für die Richtigkeit der Aussage sprechen.
BVerfG NJW-RR 1995, 441 sieht in der Beifahrerrechtsprechung sogar einen Verfassungsverstoß:
Zitat
Die Vernehmung eines Zeugen von vornherein abzulehnen, weil dieser am Ausgang des Rechtsstreits interessiert ist, verstößt gegen Art. 103 GG.
Denn die Vernehmung am Ausgang des Rechtsstreits interessierter Zeugen wäre sinnlos, wenn das Gericht ihnen allein wegen dieses Interesses schon die Glaubwürdigkeit absprechen dürfte.
BGH NJW 1995, 955:
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Das OLG hat dem Zeugen allein deshalb nicht geglaubt, weil er ein erhebliches Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits habe und bei seiner Vernehmung keine Umstände zutage gefördert worden seien, welche die aus seinem Engagement abzuleitenden Bedenken zerstreut hätten. Das verstößt gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung, weil die Entscheidung des Gerichts sich nicht, wie es § 286 Abs. 1 ZPO gebietet, auf eine individuelle Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme, sondern in verfahrensrechtlich unzulässiger Weise auf eine abstrakte Beweisregel gründet, die das Gesetz nicht kennt. Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Zeugen, die einer Prozesspartei nahestehen und/oder am Abschluss des dem Prozess zugrundeliegenden Vertrages beteiligt waren, von vornherein als parteiisch und unzuverlässig zu gelten haben und ihre Aussagen grundsätzlich unbrauchbar sind.
Rz. 113
Dass der Aussage, des am Ausgang des Rechtsstreits interessierten Zeugen größere Skepsis zu begegnen hat als der eines Neutralen, liegt auf der Hand. Das Gericht muss sich deshalb alle Mühe geben, mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu testen. Hat es aber nichts gefunden, was über sein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hinaus Anlass gibt, seine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen, kann das Gericht sich wegen dieses generellen Vorbehaltes nicht über die Aussage hinwegsetzen.
Stein/Jonas/Berger, vor § 373 Rn 27:
Zitat
Es ist selbstverständlich, dass ein Urteil im Einzelnen anzugeben hat, aus welchen Gründen z.B. die Aussage eines Zeugen unglaubwürdig ist. Freie Beweiswürdigung bedeutet die Freiheit von gesetzlichen Beweisregeln, nicht aber die Befreiung von der präzisen Angabe der Gründe der richterlichen Überzeugungsbildung. Deshalb ist der Richter gezwungen, genau die Umstände anzugeben, weshalb er die Aussage des Zeugen für unglaubhaft hält.
Rz. 114
Ein allein auf das Interesse am Ausgang des Rechtsstreits gestützter Zweifel muss zurücktreten. Der Richter hat sich der Entscheidung des Gesetzgebers zu beugen, der die Wahl zwischen einem risikobehafteten Beweismittel und dem weitgehenden Ausschluss der Beweisführung für viele zugunsten des Risikos getroffen hat.
(Vgl. zum Näheren auch Rdn 19 ff.)
1. Zeugnisfähigkeit
Rz. 115
Zeuge eines Zivilrechtsstreits kann jeder sein, der nicht Partei dieses Rechtsstreits ist. Der gesetzliche Vertreter der Partei kann ebenfalls nicht Zeuge sein.
Also auch
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der Insolvenzschuldner bzw. das Geschäftsleitungsorgan des Insolvenzschuldners bei einer Unternehmensinsolvenz im Prozess des Insolvenzverwalters, |
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der Erbe im Prozess des Testamentsvollstreckers, |
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der Kommanditist im Prozess der Kommanditgesellschaft. |
Wichtig: Kein Zeuge sein kann
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der GmbH-Geschäftsführer als Organ der GmbH in deren Rechtsstreitigkeiten, wohl aber der nur faktisch... |