Rz. 44
Die Verhandlung als Konfliktregulationsmöglichkeit soll im Unterschied zum Einsatz von Macht oder Recht vor allem auf den Interessenausgleich setzen und sich dabei als effektivere und effizientere Vorgehensweise erweisen.
Rz. 45
Die Verhandlungstrainerin Jutta Portner führt mit Bezug auf das Harvard-Konzept bestimmte Bedingungen an, die gegeben sein müssen, um von Verhandeln sprechen zu können. Dies sind insbesondere:
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wechselseitige Abhängigkeit der Parteien, |
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Interessenkonflikt und |
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eine Übereinkunft wird als Ziel der Verhandlung gesehen. |
Rz. 46
Es lassen sich fünf zentrale Merkmale von Verhandlungen ableiten, die verallgemeinerungsfähig für die Begriffsdefinition Verhandlung sind:
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gemeinsame Entscheidungsfindung, |
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grundsätzliches Einigungsinteresse bzw. eine zumindest teilweise Übereinstimmung von Zielen und Interessen der Verhandlungsparteien, |
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Interessen- oder Präferenzkonflikt bezüglich der konkreten Vereinbarung, |
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Einigungs- oder Verhandlungsspielraum, also eine Bandbreite grundsätzlich möglicher Verhandlungsübereinkünfte zur Regelung bestehender Interessen- oder Präferenzkonflikte, |
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Austauschprozess von Informationen und Angeboten durch soziale Interaktion. |
Rz. 47
Die gemeinsamen Interessen werden häufig übersehen, weil im Verhandlungsprozess die Unterschiede in den Interessen, Zielen und Positionen in der Wahrnehmung der Beteiligten in den Vordergrund rücken können.
Rz. 48
Außerdem können weitverbreitete Fehlorientierungen in der Verhandlungsführung, wie Unfairness oder überzogene erste Angebote zu unökonomischen Ereignissen, mangelnder Kreativität und einem höheren Risiko für eine Konflikteskalation und einem Scheitern der Verhandlungen führen. Gutes Verhandeln ist eine Kunst und nicht nur viele Anwälte scheinen, wie empirische Untersuchungen in der Vergangenheit gezeigt haben, zu "intuitiv" an Verhandlungen heranzugehen.
Rz. 49
Selbstverständlich sind viele Fälle nur prozessual für den Mandanten erfolgreich zu gestalten. Gerade aber im Falle der Vergütungsvereinbarung des Anwalts mit dem Mandanten ist durch Beschreiten des prozessualen Weges wohl das Verhältnis zu dem Mandanten dauerhaft beschädigt und beendet. Hier bietet eine gute Konfliktstrategie und gutes Verhandeln Lösungsmöglichkeiten, die ein gedeihliches Zusammenarbeiten für beide Seiten auch weiterhin ermöglichen kann.
Von selbst erwirbt man nicht nur keine Verhandlungsfertigkeiten. Vielmehr erwirbt man auf intuitiver Basis nur Fähigkeiten, welche das Verhandeln erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen.
Rz. 50
Nachstehend sollen die Vorteile des rationalen Verhandelns gegenüber dem intuitiven Verhandeln aufgezeigt werden. Im typischen, von Haft genannten "Basar verhandeln" sind die Spielregeln bekannt und können nahezu von jedem ohne weiteres Training angewandt werden. Das intuitive Verhandeln leidet jedoch unter mangelnder Kreativität und wird oft zum Verteilungskampf und "Null-Summen-Spiel". Ein Mehrwert wird nicht geschaffen und die Verhandlungen sind oft von Kampf und Misstrauen geprägt.