Rz. 137
Der Versicherungsnehmer ist nicht dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ein unter Versicherungsschutz fallender Schaden gar nicht erst eintritt. Wendet der Versicherungsnehmer dennoch einen unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfall ab oder mindert er ihn, eröffnet ihm § 90 VVG die Möglichkeit des Kostenersatzes. Der in § 83 VVG geregelte Kostenersatz für Aufwendungen nach dem Versicherungsfall wird gesetzlich vorerstreckt auf die Zeit vor Eintritt des Versicherungsfalls. Diese Vorerstreckung gilt nicht für die Rettungsobliegenheit des § 82 VVG.
Rz. 138
Gemäß § 82 VVG ist der Versicherungsnehmer jedoch dazu verpflichtet, bei Eintritt eines Versicherungsfalles nach Möglichkeit für eine Abwendung oder Minderung des Schadens zu sorgen. Er soll durch die Rettungsobliegenheit dazu angehalten werden, die Entwicklung des Schadens nicht mit Blick auf die bestehende Deckung sich selbst zu überlassen, sondern in jedem Fall um seine Abwendung oder Eindämmung bemüht zu sein. Dabei hat er erforderlichenfalls Weisungen des Versicherers einzuholen. Eine Vorstreckung auf einen Zeitpunkt, ab dem der Eintritt des Versicherungsfalles mit großer Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevorsteht, ist seit Einführung des § 90 VVG für Rettungskosten abzulehnen. Bis zum Eintritt des Versicherungsfalls steht der Versicherungsnehmer unter der Obliegenheit des § 81 VVG, danach unter der des § 82 VVG.
Rz. 139
Diese gesetzliche Obliegenheit gilt für die gesamte Schadensversicherung. Für den Bereich der Feuerversicherung wurde sie darüber hinaus in § 13 Nr. 1 c AFB 87 und B § 8 Nr. 2 AFB 2010 normiert. Sie können den Versicherungsnehmer in ein Dilemma stürzen. Verändert er die Schadenstelle, um weiteren Schaden abzuwenden, verstößt er gegen die ihn treffende Obliegenheit, die Schadenstelle unverändert zu lassen. Lässt er die Schadenstelle unverändert, verletzt er möglicherweise die ihn treffende Schadenminderungsobliegenheit. Die praktische Lösung liegt in der Kommunikation mit dem Versicherer und dem Anfordern von Weisungen. Die rechtliche Lösung liegt eher in Treu und Glauben als in Belehrungspflichten. Den Versicherungsnehmer in dieser Situation allein zu lassen und abzuwarten, welche Obliegenheit er verletzt, ist treuwidrig und verbietet deswegen ein Berufen auf Leistungskürzung wegen einer Obliegenheitsverletzung, wenn der Versicherungsnehmer entweder die eine oder die andere Obliegenheit verletzen muss.
Rz. 140
Da der Versicherungsnehmer dazu gehalten ist, im Interesse des Versicherers alles ihm Zumutbare zu tun, um den Schaden abzuwenden oder zu mindern, entspricht es dem Gebot der Billigkeit, dass ihm der Versicherer die dabei entstehenden Kosten ersetzt. Diese "Kehrseite" der Rettungsobliegenheit findet sich in § 83 Abs. 1 VVG für den Bereich der gesamten Schadensversicherung sowie in § 3 Nr. 1 AFB 87 B § 13 und B § 8 Nr. 3 AFB 2010 für die Feuerversicherung.
Rz. 141
Für die Erstattungsfähigkeit von Rettungsaufwendungen kommt es nicht darauf an, ob sie zum gewünschten Erfolg führen. Es reicht aus, wenn die Rettungsmaßnahme objektiv dem Zweck diente, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Voraussetzung ist lediglich, dass die vom Versicherungsnehmer veranlasste Maßnahme auf Weisung des Versicherers erfolgte oder der Versicherungsnehmer die Maßnahme für geboten halten durfte.
Rz. 142
Nach überwiegender Auffassung steht ein Irrtum über die Tauglichkeit der Maßnahme, über ihre Angemessenheit, über das Bestehen oder über den Beginn der Rettungsobliegenheit der Eintrittspflicht des Versicherers für die dabei verursachten Rettungskosten grundsätzlich nicht entgegen. Etwas anderes gilt, wenn der Irrtum des Versicherungsnehmers auf grober Fahrlässigkeit beruht.
Rz. 143
Unter dem Begriff der Aufwendungen ist jede auch unfreiwillige Vermögensminderung zu verstehen, die die adäquate Folge einer Maßnahme ist, die der Versicherungsnehmer zur Schadenminderung oder Schadensabwendung ergriffen hat. Hierzu gehören beispielsweise:
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Kosten für Löschmaßnahmen an nicht versicherten Sachen. Das Rettungsrecht beginnt bereits, wenn es in der Umgebung des versicherten Gebäudes brennt und der Brand übergreifen könnte. Der Versicherer kann also auch für Löschhilfe bei einem Brand am Nachbarhaus des versicherten Gebäudes oder in einem nahegelegenen Wald in Anspruch genommen werden. |
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Kosten für die Beschäftigung von Personen zur Bekämpfung des Feuers. |
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Opferung versicherter oder nicht versicherter Sachen in Form von Löschen, Niederreißen oder Ausräumen, wenn dies zur Abwendung oder Minderung des Schadens förderlich war oder vom Versicherungsnehmer für erforderlich gehalten werden durfte. Dogmatisch handelt es sich dabei um Geschäftsführung ohne Auftrag gem. §§ 670, 683 BGB. |
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Schäden, die dadurch entstehen, dass vorgeschädigtes Heu ausgelagert wird, um eine Heu-Selbstentzündung zu vermeiden. |
Rz. 144
Nicht ersetzt werden hingegen:
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Eigene Arbeitsleistungen. Auch hier gilt also der allgemeine G... |