Rz. 86
Hier kann zunächst auf die obigen Ausführungen verwiesen werden (siehe Rdn 46 ff.).
Rz. 87
Kommt es zwischen dem Geschädigten und dem Versicherungsnehmer zu einem Haftpflichtprozess, muss der Versicherungsnehmer seinen Haftpflichtversicherer unverzüglich über die Klage nebst Zustellungsdatum informieren. Der Versicherungsnehmer bleibt formal Partei des Haftpflichtprozesses, den der Versicherer jedoch steuert, indem er gem. B3–3.5 S. 2 AVB bzw. Ziff. 25.5 S. 2 AHB den Rechtsanwalt für den Versicherungsnehmer auswählt und beauftragt. Er stellt den Versicherungsnehmer von den Kosten frei. Sind jedoch versicherte und nicht versicherte Ansprüche (z.B. Erfüllungsschäden) streitgegenständlich, fallen dem Versicherer nur die Kosten der gedeckten Haftpflichtforderung zur Last. Zur umfassenden Prozessvollmacht aus A1–4.2. Abs. 2 AVB bzw. Ziff. 5.2 Abs. 2 AHB früher in diesem Kapitel (vgl. Rdn 35).
Rz. 88
Die Kosten eines im Haftpflichtprozess ohne den Willen des Versicherers beauftragten oder gar die Kosten eines weiteren, nur vom Versicherungsnehmer beauftragten Rechtsanwaltes muss der Versicherer nur in Ausnahmefällen tragen – etwa wenn die Wahrnehmung der Interessen des Versicherungsnehmers durch den Versicherer nicht sichergestellt war oder bei einem Interessenkonflikt. Darauf hat der den VN zusätzlich vertretende Anwalt hinzuweisen, um sich nicht selbst in eine Schadensersatzpflicht zu begeben.
Rz. 89
Der Versicherungsnehmer hat hinsichtlich einer Haftpflichtforderung bereits im selbstständigen Beweisverfahren Anspruch auf Rechtsschutz gem. § 100 VVG bzw. A1–4.1 S. 1 AVB (Ziff. 5.1 S. 1 AHB), sofern hierin bereits eine ernsthafte Geltendmachung des Haftpflichtanspruchs zu sehen ist. Zweifelhaft ist, ob der Versicherer diesen Rechtschutz auch durch den Einsatz eigener Mitarbeiter gewähren kann. Umgekehrt hat der Versicherungsnehmer wiederum die Führung des Beweissicherungsverfahrens seinem Versicherer zu überlassen.
Rz. 90
Insbesondere prozessual kann die Widerstandsklausel des A 1 Ziff. 5.8 AVB (Ziff. 6.8 AHB) zum Problem werden (vgl. Rdn 52). Hierauf muss der Anwalt, der den Versicherungsnehmer vertritt und der auch bei Beauftragung im Haftpflichtprozess durch den Versicherer aus dem Mandatsverhältnis formal an die Weisungen des Versicherungsnehmers gebunden ist, hinweisen. Allerdings kann der Versicherer den Haftpflichtanspruch u.U. auch ohne Beteiligung des Versicherungsnehmers erledigen, z.B. durch Zahlung an den Dritten und Abschluss einer außergerichtlichen Vereinbarung, wonach mit der Zahlung sämtliche Ansprüche des Dritten gegen den Versicherungsnehmer abgegolten sind und die Klage zurückgenommen wird.
Rz. 91
Bei aufrechenbaren Ansprüchen des Versicherungsnehmers oder durch die andere Partei zur Aufrechnung gestellten Forderungen ist immer an die Haftpflichtversicherung zu denken, wenn eine der Forderungen einen Haftpflichtschaden betreffen kann (vgl. Rdn 59 ff. sowie die außergerichtlichen Musterformulare siehe Rdn 79 f., 82 f.).
Rz. 92
Ein rechtskräftiges Haftpflichturteil entfaltet in seinen Tatsachengrundlagen Bindungswirkung im nachfolgenden Deckungsprozess (vgl. hierzu das nachfolgende Muster einer Klageschrift, siehe Rdn 102). Die im Haftpflichturteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen dürfen im Deckungsprozess nicht infrage gestellt werden, wenn der im Deckungsprozess maßgebliche Umstand sich auch im Haftpflichtprozess bei objektiv zutreffender rechtlicher Würdigung als entscheidungserheblich erweist (Voraussetzungsidentität). Die rechtliche Einordnung der Feststellungen aus dem Haftpflichtprozess ist außerdem nicht bindend. Die Bindungswirkung ist keine Rechtskrafterstreckung, sondern die materiell-rechtliche Auswirkung des Haftpflichtvertrages, die sich aus dem Leistungsversprechen ergibt. Sie entfällt bei kollusivem Zusammenwirken des Geschädigten und des Versicherungsnehmers zum Nachteil des insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Versicherers.
Rz. 93
Bei einem Versäumnisurteil ist auf die Einflussnahmemöglichkeit des Versicherers abzustellen. Die Bindungswirkung eines Anerkenntnisurteils kann im Hinblick auf A1–4.1 Abs. 2 S. 2 AVB (Ziff. 5.1. Abs. 2 S. 2 AHB) nur greifen wenn es der Rechtslage entspricht. Gleiches gilt für einen Vergleich.
Rz. 94
Eine Nebenintervention des Versicherers im Haftpflichtprozess kann daher sinnvoll sein: Einerseits, um Tatsachen feststellen zu lassen, die im späteren Deckungsprozess bedeutsam sind – so etwa durch Beitritt auf Seiten des klagenden Geschädigten, um Deckungssauschlüsse, wie den Vorsatztatbestand, einzubringen. Bestehen andererseits Anhaltspunkte für einen vorgetäuschten Haftpflichtschaden, kann der Haftpflichtversicherer im Haftpflichtprozess im Rahmen der Nebenintervention auf der Seite des Versicherungsnehmers beitreten, um auf den Prozess Einfluss zu nehmen (z.B. zur Vermeidung eines Versäumnisurteils). Er darf sich dabei entgegen § 67 ZPO auch in Widerspruch zum Vortrag der unterstützten Partei setzen.