Rz. 16
Zur Abgrenzung der Unfälle, die unter das Haftungsprivileg der §§ 104 ff. SGB VII fallen, von sonstigen Wegeunfällen im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII, bei denen die durch das Privileg gesperrte Haftung wiederum "entsperrt" wird, ist zu prüfen, ob nach dem Sinn und Zweck der §§ 104 ff. SGB VII eine Haftungsbeschränkung geboten ist, weil sich aufgrund der bestehenden betrieblichen Gefahrengemeinschaft ein betriebsbezogenes Haftungsrisiko verwirklicht hat, von dem der Unternehmer auch hinsichtlich eventueller Freistellungs- und Erstattungsansprüche grundsätzlich befreit werden soll. Maßgeblich ist dabei das Verhältnis des Geschädigten zu dem in Anspruch genommenen Schädiger. Im Unfall muss sich das betriebliche Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem manifestiert haben. Dann gelten die Haftungsbefreiungen der §§ 104, 105 SGB VII. Stand jedoch das betriebliche Verhältnis zu dem Unfall in keinem oder nur einem losen Zusammenhang, scheidet eine Haftungsprivilegierung aus. Es kommt deshalb darauf an, inwieweit der Unfall mit dem Betrieb und der Tätigkeit des Versicherten zusammenhing und ob er Ausdruck der betrieblichen Verbindung zwischen ihm und dem Unternehmen war, derentwegen das Haftungsprivileg nach § 105 SGB VII besteht.
Die §§ 104 ff. SGB VII dienen nämlich dem Schutz des Arbeitgebers, indem seine Haftung durch die – nicht zuletzt den Arbeitnehmer absichernde – Einstandspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung beschränkt wird, wobei sowohl das Risiko von Arbeitsunfällen für den Arbeitgeber kalkulierbar wird als auch der Betriebsfrieden innerhalb der betrieblichen Gefahrgemeinschaft gewahrt wird. Von einem Unfall auf einem Betriebsweg ist somit nur dann auszugehen, wenn die gemeinsame Fahrt der Arbeitskollegen selbst als Teil des innerbetrieblichen Organisations- und Funktionsbereichs erscheint.
Nimmt ein Arbeitnehmer die Möglichkeit in Anspruch, mit einem Arbeitskollegen, der mit einem betriebseigenen Fahrzeug Gerätschaften und Material vom Betriebsgelände zum auswärtigen Beschäftigungsort transportiert, mitzufahren, so handelt es sich daher bei der Fahrt um einen nach § 8 Abs. 1 SGB VII versicherten Betriebsweg. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern ein betriebseigenes Fahrzeug mit Firmenbeschriftung zur Verfügung stellt, um hiermit Fahrten von und zu einer auswärtigen Arbeitsstelle durchführen zu können und es kommt auf einer solchen Fahrt zu einem Unfall. Wird ein Arbeitnehmer zusammen mit Kollegen im Rahmen eines vom Arbeitgeber durchgeführten Sammeltransports in einem betriebseigenen Fahrzeug mit einem betriebseigenen Fahrer zu einer auswärtigen Arbeitsstelle und von dort wieder nach Hause transportiert, so handelt es sich bei der Fahrt um einen Betriebsweg und nicht um einen Weg zur Arbeitsstelle. Hierzu kann auch die Fahrt mit einem Privatwagen zu einem Feuerwehreinsatz gehören. Zu den privilegierten Unfällen auf Betriebswegen gehören auch sämtliche Unfälle, die sich auf dem Firmengelände zutragen. Für Mitglieder der Feuerwehr beginnt die dienstliche Fahrt nicht erst am unmittelbaren Einsatzort, sondern bereits auf der Fahrt dorthin. Bei einem Verkehrsunfall auf dem Betriebsweg haften der Arbeitgeber und der als Fahrer eingesetzte Mitarbeiter gegenüber dem geschädigten Arbeitnehmer für Personenschäden nur bei Vorsatz.
Rz. 17
Muster 5.4: Werksverkehr und Betriebsweg
Muster 5.4: Werksverkehr und Betriebsweg
Für die Unterscheidung, ob der Versicherungsfall auf einem Betriebsweg oder einem – von der Haftungsbeschränkung ausgenommenen – versicherten Weg eingetreten ist, kann hinsichtlich der Kriterien innerbetrieblicher Vorgänge die zu § 636 Abs. 1 S. 1 RVO ergangene Rechtsprechung herangezogen werden. Danach geht es bei der Abgrenzung des innerbetrieblichen Vorgangs gegenüber der "Teilnahme am allgemeinen Verkehr" darum, ob sich ein betriebliches Risiko oder ein "normales" Risiko verwirklichte, das nach dem Willen des Gesetzgebers aus Gründen der Gleichbehandlung nicht zu einem Haftungsausschluss gegenüber dem Schädiger führen sollte (vgl. BGHZ 116, 30, 35). Ein Werksverkehr, bei dem der Unternehmer Betriebsangehörige laufend mit dem werkseigenen Fahrzeug zur Betriebsstätte bringen lässt, wird schon seit Langem als zu der versicherten Tätigkeit zählender Betriebsweg beurteilt (vgl. BGHZ 116, 30, 35). Dies kann nicht anders gesehen werden, wenn der Arbeitgeber einen einzurichtenden Werksverkehr an Fremd- oder Subunternehmen vergibt (sog. Outsourcing). Dabei ist die Frage entscheidend, ob der Verkehr ausschließlich auf die Bedürfnisse des Arbeitgebers und dessen Arbeitnehmer ausgerichtet ist oder ob es sich um die Teilnahme an einem öffentlichen Verkehr zusammen mit anderen handelt, bei der der Arbeitgeber lediglich Erleichterungen (etwa besondere Haltestellen oder verbilligter Fahrpreis) organisiert hat (OLG München, Urt. v. 31.3.2012 – 10 U 3927/11 – juris).