Rz. 54
Es gehört zu den vertraglichen Pflichten des Anwalts, durch vollständigen Sachvortrag und geeignete Rechtsausführungen auch darauf hinzuwirken, gerichtliche Fehler möglichst zu vermeiden (vgl. § 2 Rdn 237 ff.). Schon daraus folgt, dass eine Haftung des Anwalts auch dann in Betracht kommt, wenn er dieser Aufgabe nicht gerecht geworden und deshalb eine Fehlentscheidung ergangen ist, die den Mandanten belastet. Dieser Grundsatz bedarf jedoch einer Einschränkung, weil das Gericht für die Beachtung der ihm im öffentlichen Interesse obliegenden Verpflichtung, nach den Regeln der Verfahrensvorschriften möglichst zu einer richtigen Entscheidung zu gelangen, unabhängig von der Leistung des Anwalts verantwortlich ist. Diese Aufgabe, die in dem Satz "iura novit curia" zum Ausdruck kommt, muss in die im Rahmen der Zurechnung gebotene wertende Betrachtungsweise einbezogen werden. Daraus folgt, dass Fehler des Gerichts in ihrer Bedeutung für den haftungsrechtlichen Zusammenhang nicht ohne Weiteres den Handlungen Dritter oder des Mandanten gleichgestellt werden können.
Rz. 55
Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat dieser Besonderheit zunächst dadurch Rechnung getragen, dass ein Zurechnungszusammenhang zwischen der Vertragsverletzung des Anwalts und dem geltend gemachten Schaden trotz eines dazwischen geschalteten gerichtlichen Fehlers nur bejaht wurde, sofern Letzterer jedenfalls auch auf Umständen oder Problemen beruhte, deren Auftreten der Anwalt gerade durch sachgerechtes Arbeiten hätte vermeiden müssen.
Rz. 56
Hat der Anwalt eine Willenserklärung als Rücktritt statt als Kündigung bezeichnet, muss er dafür einstehen, wenn dies mit dazu beigetragen hat, dass das Gericht eine dem Mandanten nachteilige, fehlerhafte Auslegung vorgenommen hat. Sind infolge einer vom Anwalt verzögerten Durchsetzung des Anspruchs oder wegen unvollständigen Tatsachenvortrags zusätzliche tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten entstanden, die der Richter nicht zutreffend bewältigt hat, gilt dasselbe. Hat der Anwalt statt des sachgerechten einen fehlerhaften Antrag gestellt und ist dadurch ein zusätzliches, schwieriges Rechtsproblem entstanden, das der Richter fehlerhaft gelöst hat, muss sich der Anwalt den daraus entstandenen Schaden haftungsrechtlich zurechnen lassen. Zu den Aufgaben des Anwalts im Prozess kann es auch gehören, auf einen klar ersichtlichen Fehler in einem gerichtlichen Beweisbeschluss hinzuweisen (vgl. § 2 Rdn 238). Versäumt er dies, wird der Zurechnungszusammenhang grds. nicht dadurch unterbrochen, dass das Gericht eine unzutreffende Entscheidung gefällt hat. Dagegen kann der Anwalt für Irrtümer des Gerichts, zu denen er nicht durch eine eigene Pflichtverletzung beigetragen hat, selbstverständlich in keiner Weise verantwortlich gemacht werden.
Rz. 57
In einem Urteil aus dem Jahr 2003 hat der BGH an dieser Differenzierung jedoch nicht festgehalten und weitgehend denselben Zurechnungsmaßstab angewandt, wie er allgemein bei nachfolgenden Handlungen Dritter (vgl. Rdn 51) gilt. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Mandant hatte 1962 als griechischer Staatsangehöriger vor einem griechisch-orthodoxen Geistlichen die Ehe mit einer Griechin geschlossen. 1989 hatte er – inzwischen ausschließlich deutscher Staatsangehöriger – sich von der Frau getrennt und 1991 den beklagten Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt. Dieser hatte ein Ehescheidungsurteil erwirkt; danach hatte der Mandant Versorgungsausgleich und Unterhalt an die Frau zu zahlen. Später wurde erkannt, dass die Eheschließung aus Rechtsgründen gem. §§ 11, 15a EheG unwirksam war.
Der Fehler des Rechtsanwalts lag darin, dass er Scheidungsklage erhoben statt Antrag auf Feststellung des Nichtbestehens einer Ehe gestellt hatte. Dem FamG, das auf der Grundlage des vom Rechtsanwalt zutreffend mitgeteilten Sachverhalts von Amts wegen die Zulässigkeit der Klage zu prüfen hatte, war allerdings derselbe Rechtsfehler unterlaufen. Es hatte ebenso wie der Anwalt die Nichtigkeit der Ehe nicht erkannt.
Rz. 58
Der BGH hat in diesem Fall die Haftung des Anwalts mit folgenden Erwägungen bejaht: Er habe mit der Wahl der Klageart den entscheidenden Einfluss auf die weitere rechtliche Gestaltung ausgeübt, weil der deutsche Zivilprozess der Parteiherrschaft unterliege. Bei mitwirkender Schadensverursachung durch mehrere Personen hafteten diese zum Schutz des Geschädigten grds. gemeinsam als Gesamtschuldner. Der Umstand, dass der daraus üblicherweise folgende Innenausgleich (§§ 426, 254 BGB) hier durch das Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB gestört werde, könne nicht dazu führen, dass der geschädigte Mandant regelmäßig keinen Ersatz des erlittenen Schadens erlangen könne. Etwas anderes sei allenfalls dann anzunehmen, wenn der Schadensbeitrag des Gerichts denjenigen des Anwalts soweit überwiege, dass dieser daneben ganz zurücktrete. Hier habe der Familienrichter allein das Ehescheidungsurteil mit der A...