Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 170
Aus § 9 Abs. 4 SGB II ergibt sich die Fiktion der Hilfebedürftigkeit als Ausnahmeregel. Hilfebedürftig ist danach auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde. § 9 Abs. 4 SGB II ist Grundlage für die Gewährung eines Darlehens nach § 24 Abs. 5 SGB II i.V.m. § 42a SGB II. Voraussetzung für den Eintritt der Fiktion sind Verwertungsbemühungen durch den Leistungssuchenden. Verweigert er sie und sollen sie auch künftig nicht aufgenommen werden, verbleibt für eine fiktive Hilfebedürftigkeit und die Gewährung eines der Überbrückung dienenden Darlehens kein Raum.
Rz. 171
Grundsätzlich kann auf die Ausführungen zu § 91 SGB XII Bezug genommen werden mit Ausnahme der Tatsache, dass § 91 SGB XII von einem "soll" und § 24 Abs. 5 SGB II von einem "muss" in der Anwendung spricht. § 24 Abs. 5 SGB II bezieht sich systematisch auf die Verwertung von Vermögen, nicht auf die Verwertung von Einkommen. Eine Erbschaft, die in Geld besteht, wird aber je nach Erbfall- und Antragszeitpunkt im SGB II Einkommen sein, so dass § 24 Abs. 5 SGB II insoweit keine Anwendung finden kann.
§ 24 Abs. 5 SGB II bezieht sich systematisch auf die Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen. So, wie man in § 90 SGB XII erst einmal die Prüfung aller Schonvermögenstatbestände durchlaufen haben muss, um zu § 91 SGB XII zu kommen, so muss man für § 24 Abs. 5 SGB II erst einmal § 12 SGB II mit all seinen Tatbeständen vorab prüfen. Dazu gehört zunächst die Prüfung, ob es sich um verwertbares Vermögen handelt. Das fordert wiederum die Prüfung der zeitlichen Dimension der Verwertbarkeit des dem Grunde nach verwertbaren Vermögens. Es fordert auch die Prüfung der Schonvermögenstatbestände der § 12 Abs. 2 und 3 SGB II, also insbesondere auch die Prüfung des Schonvermögenstatbestandes nach § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II, also der Unwirtschaftlichkeit der Verwertung und deren besondere Härte. Erst dann, wenn man die besondere Härte im Sinne des § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II verneint hat, kann man also zur Prüfung einer erneuten Härtefallprüfung ansetzen, die keinesfalls geringere Anforderungen stellt.
a) Überbrückungslösung zur Existenzsicherung
Rz. 172
§ 24 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 SGB II stellt darauf ab, dass der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung des Vermögens nicht möglich ist. Bereits im Rahmen von § 12 Abs. 1 SGB II wurde der zeitliche Aspekt geprüft. Das Ergebnis war:
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Verwertbarkeit innerhalb des Bewilligungszeitraums prognostisch möglich = grundsätzlich verwertbares Vermögen. |
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Verwertbarkeit innerhalb des Bewilligungszeitraums prognostisch nicht möglich = grundsätzlich unverwertbares Vermögen für die Dauer des Bewilligungszeitraumes mit wiederholter Prüfung im nächsten Bewilligungszeitraum. |
§ 24 Abs. 5 SGB II meint also die Fälle, bei denen die Prognose für den Bewilligungszeitraum positiv ist, aber gleichwohl faktisch und sofort noch keine Mittel verfügbar sind.
Rz. 173
§§ 9 Abs. 4, 24 Abs. 5 SGB II setzen deshalb auch voraus, dass der Hilfesuchende oder Hilfebezieher tatsächlich auch Verwertungsbemühungen unternimmt. Solche Verwertungsbemühungen müssen ernsthaft unternommen werden. "Eine Art Vermögensschutz kann nicht dadurch hergestellt werden, dass überzogene Kaufpreisforderungen gestellt werden, die sich dann nicht realisieren lassen (z.B. Makler-Allein-Auftrag von 2005 mit Preisvorstellungen von 50.000 EUR, Verkehrswertgutachten vom 27.8.2009 mit Verkehrswert von 23.600 EUR und Verkauf in 2013 zu einem Preis von 14.000 EUR)." Unternimmt der Betroffene keine Verwertungsbemühungen und sollen solche auch künftig unterbleiben, so besteht für die vom Regelfall "abweichende Erbringung von Leistungen" nach § 24 Abs. 5 SGB II grundsätzlich kein Raum und darlehensweise Leistungen für die Überbrückung der Wartezeit bis zur Verwertung kommen in aller Regel nicht in Betracht.
Rz. 174
Dazu muss das Jobcenter die Betroffenen aber vorher ausdrücklich auf die Erforderlichkeit von Verwertungsbemühungen und die Folgen ihres Unterlassens hingewiesen haben. Das Jobcenter hat insoweit Beratungs- und Hinweispflichten. Hat das Jobcenter auf das Verwertungserfordernis hingewiesen, konkrete Verwertungsmöglichkeiten beispielhaft aufgezeigt, für eine nicht mögliche sofortige Verwertung Zeit eingeräumt und in dieser darlehensweise Leistungen erbracht und hat es darauf hingewiesen, dass ohne den Nachweis von Verwertungsbemühungen und deren Scheitern weitere darlehensweise Leistungen nicht in Betracht kommen, können diese jedenfalls bei unterlassenen und auch künftig nicht beabsichtigten Verwertungsbemühungen abgelehnt werden.