Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 90
Entgegen dem Grundsatz, dass Sozialhilfe nicht zur Bildung von Vermögen dienen darf, hat das BSG für das SGB II in der Vergangenheit entschieden, dass der Wandel vom Einkommen zum Vermögen im SGB II möglich ist. Der Wandel soll – erstaunlicherweise – möglich sein, "weil eine Erstreckung über den im Gesetz angelegten Bewilligungszeitraum (von 12 Monaten hinaus) den Leistungsbezieher mit hohen einmaligen Einnahmen unbillig lange von der Möglichkeit einer Vermögensbildung ausnehmen würde."
Rz. 91
Fallbeispiel 62: Die Lücke im Leistungsbezug
Die A bezog bis zum 25.10.2009 Arbeitslosengeld II. Am 25.6.2009 verstarb der Großvater der A und sie wurde Teil einer Erbengemeinschaft. Der Nachlass bestand aus einer Immobilie. Ab 26.10.2009 bezog die A diverse Sozialleistungen (Arbeitslosengeld, Kindergeld, Unterhalt, Wohngeld). Ab November 2010 stand die A wiederum im Leistungsbezug. Am 22.2.2012 flossen der A Beträge aus der Veräußerung der Immobilie und der Auflösung der Erbengemeinschaft zu, die das Jobcenter als Einkommen anrechnete. Zu Recht?
Rz. 92
Bei Anfall einer Erbschaft im Leistungszeitraum nimmt die Praxis – unabhängig von der vorstehend geführten Diskussion um die Differenzierung der Erbschaft als Zufluss in Geld oder Geldeswert (der daraus resultierende Auseinandersetzungsanspruch der Miterben begründet einen Anspruch auf Zustimmung zum Teilungsplan und den Anteil an dem Überschuss nach § 2047 BGB ist eine Forderung, also Geldeswert) – Einkommen an.
§ 11 Abs. 2 und 3 SGB II bestimmen heute die Anrechnungsregeln beim Einkommen. Grundsätzlich gilt für die Einkommensanrechnung das Monatsprinzip. Laufende Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Für laufende Einnahmen, die in größeren als monatlichen Zeitabständen zufließen, gelten die Regeln zum Einmaleinkommen.
Rz. 93
Einmalige Einnahmen sind in dem Monat, in dem sie als "bereite" Mittel tatsächlich zufließen, zu berücksichtigen. Sofern für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahme erbracht worden sind, werden sie im Folgemonat berücksichtigt. Entfiele der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat, ist die einmalige Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen.
Insofern gelten grundsätzlich die Verteilungsregeln wie in § 82 Abs. 7 SGB XII. Aus dem tatsächlichen Zufluss wird ein "normativer" Zufluss mit einem sechsmonatigen Verteilzeitraum, der häufig erst im Folgemonat des Zuflusszeitpunktes beginnt.
Rz. 94
Der Verteilzeitraum kann enden, wenn die Hilfebedürftigkeit ohne die Einnahme für mindestens einen Monat zwischen zwei Bewilligungsabschnitten endet. Wenn die Hilfebedürftigkeit für mindestens einen Monat und ohne Berücksichtigung der zu verteilenden einmaligen Einnahme und ohne sonstige, nicht nachhaltige Zuwendungen Dritter überwunden wird, liegen bei erneutem Eintritt der Hilfebedürftigkeit geänderte Verhältnisse vor. Wird die Hilfebedürftigkeit für mindestens einen Monat beendet, ist es nicht mehr gerechtfertigt, die zuvor berücksichtigte einmalige Einnahme nach erneuter Antragstellung weiterhin als Einkommen leistungsmindernd anzusetzen. Dabei wird eine Überwindung der Hilfebedürftigkeit nicht nur bei Bezug von Erwerbseinkommen angenommen, sondern auch andere Einkommensarten – z.B. nicht nachrangig ausgestaltetes Erwerbsersatzeinkommen – kommen in Betracht. Es handelt sich um einen Zufluss vor der erneuten Hilfebedürftigkeit. Der Zufluss ist daher ab diesem Zeitpunkt als Vermögen zu berücksichtigen. Für eine erneute Zuordnung als Einkommen fehlt es an einem erneuten Zufluss.
Das gilt auch bei ununterbrochenem Ablauf des Verteilzeitraums.
Rz. 95
Falllösung Fallbeispiel 62:
Der "Anfall" der Erbschaft lag in einem Leistungszeitraum und war damit Einkommen. Der reale Zahlungszufluss lag in 2012 und damit ebenfalls im Leistungsbezug. Folglich ist die Erbschaft erst ab diesem Zeitpunkt anrechenbar. Dazwischen lag allerdings ein SGB II-freier Zeitraum, gefüllt mit anderen sozial- und familienrechtlichen Leistungen. Endet aufgrund Beendigung der Hilfebedürftigkeit für mindestens einen Kalendermonat der Leistungsfall des SGB II zwischen Erbfall und Zufluss bereiter Mittel aus der Erbschaft, so wird aus dem ursprünglich als Einkommen klassifizierten Einkommen Vermögen. Die Frage der Anrechenbarkeit ergibt sich aus § 12 SGB II.
Fazit
Bei einem Zufluss von Mitteln aus Erbfall und/oder Schenkung muss im SGB II gegebenenfalls zweistufig geprüft werden. Zunächst wird geprüft, ob es sich um bedarfsgeeignetes und bedarfsdeckendes einmaliges Einkommen handelt. Dann wird nach § 11 Abs. 3 SGB II das Einkommen auf sechs Monate verteilt. Ist der Zufluss höher als der Bedarf für sechs Monate, wird der Bewilligungsbescheid aufgehoben, weil hinreichendes eigenes Einkommen zur Verfügung steht. Bei erneuter Antragstellung wird davon ausgegangen, dass die restlichen...