Rz. 161
Der frühere Lohnsteuerjahresausgleich ist infolge des Steuerrechtsänderungsgesetzes v. 28.2.1992 durch die sog. Antragsveranlagung ersetzt worden (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG). Da der Steuererstattungsanspruch gem. § 46 Abs. 1 AO nach wie vor pfändbar ist, wurde früher die Auffassung vertreten, der Gläubiger könne nach Überweisung des gepfändeten Rechts gem. § 836 Abs. 3 ZPO für den Schuldner den Antrag auf Steuererstattung stellen. Dabei reichte es aus, wenn der Prozessbevollmächtigte des Gläubigers statt des Schuldners den Antrag stellt.
Rz. 162
Diese Ansicht ist heute überholt. Der BFH hat bereits mit Urt. v. 18.8.1998 entschieden, dass nur der Schuldner den Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer stellen könne, weil dies sein höchstpersönliches Recht sei. Der BFH verweist den Gläubiger darauf, den Schuldner ggf. mit zivilrechtlichen Mitteln zu zwingen, den Antrag zu stellen. Der BFH hat seine Auffassung trotz Kritik in seinem Urt. v. 29.2.2000 bestätigt:
Zitat
"Der Pfändungsgläubiger des Anspruchs auf Erstattung von Lohnsteuer bzw. Einkommensteuer eines Ehegatten ist nicht berechtigt, anstelle seines Vollstreckungsschuldners und dessen Ehegatten beim Finanzamt den Antrag auf Durchführung einer Ehegattenzusammenveranlagung zu stellen."
Rz. 163
Dies bedeutet, dass zwar der Erstattungsanspruch nach wie vor pfändbar ist, die Pfändung dem Gläubiger aber nur dann etwas bringt, wenn der Schuldner den Antrag stellt.
Rz. 164
Etwas differenzierter sah der BGH die Rechtsprechung des BFH und betonte in seiner Entscheidung vom 12.12.2003:
Zitat
"Wer einen Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuer gepfändet und zur Einziehung überwiesen erhalten hat, kann den Hilfsanspruch auf Abgabe der Steuererklärung aus diesem Titel grds. durch Haftantrag gegen den Schuldner vollstrecken."
Grundsätzlich widerspricht der BGH nicht der Rechtsprechung des BFH. Da jedoch eine effektive Zwangsvollstreckung auch in Einkommensteuererstattungsansprüche von Lohnsteuerzahlern möglich bleiben muss, kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Ersatzvornahme bei den Verfahrenshandlungen des Steuerpflichtigen im Festsetzungsverfahren erfolgen. Allerdings sieht der BGH – gegen die Andeutungen des BFH –, eine zivilgerichtliche Klage auf Betreiben der Antragsveranlagung gegen den Vollstreckungsschuldner zu erheben, für nicht gangbar. Der BGH mutet dem Vollstreckungsgläubiger auch nicht zu, einen neuen Rechtsstreit gegen den Vollstreckungsschuldner zu führen. Sind durch den Vollstreckungsschuldner Einspruchs-, Klage- oder Rechtsmittelfristen im Festsetzungsverfahren zu wahren, wäre ein solcher Versuch praktisch aussichtslos. Nach Ansicht des BGH begründet der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen Vollstreckungsgläubiger und Vollstreckungsschuldner, zu dem die entsprechend § 836 Abs. 3 S. 2 und 3 ZPO vollstreckbare Verpflichtung des Schuldners gehört, den überwiesenen Steuererstattungsanspruch durch Festsetzung der Einkommensteuer zu betreiben. Während der (vorläufigen) Unvertretbarkeit der Einkommensteuererklärung kann der Steuerpflichtige bei Zwangsvollstreckung in seinen Einkommensteuererstattungsanspruch mit den Zwangsmitteln des § 888 ZPO angehalten werden, seiner Erklärungspflicht im Interesse des Vollstreckungsgläubigers nachzukommen. Zur Entscheidung befugt ist das Vollstreckungsgericht als Prozessgericht des ersten Rechtszuges im Sinne von § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO, weil es mit dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss den Vollstreckungstitel geschaffen hat. Als Zwangsmittel zur Durchsetzung der Erklärungspflicht kann der Vollstreckungsgläubiger gegen den Schuldner in der Regel sogleich Haftantrag stellen, weil andernfalls eine zweckwidrige Gläubigerkonkurrenz mit der Staatskasse zu befürchten ist. Dem Haftantrag gegen den Schuldner nach § 888 ZPO zur Durchsetzung des Hilfsanspruchs auf Abgabe der Einkommensteuererklärung fehlt allerdings das Rechtsschutzbedürfnis, solange für den Schuldner die allgemeine Frist zur Erklärungsabgabe oder eine allgemein gewährte Fristverlängerung noch läuft.
Rz. 165
Diese für den Gläubiger noch recht günstige Rechtsauffassung hielt aber nur 5 Jahre. Durch Beschl. v. 27.3.2008 nahm der BGH wieder Abschied von seiner Meinung:
Zitat
"Wer einen Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuer gepfändet und zur Einziehung überwiesen erhalten hat, kann aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses weder einen Anspruch auf Vornahme von Verfahrenshandlungen im Steuerfestsetzungsverfahren gemäß § 888 ZPO durch Haftantrag gegen den Schuldner vollstrecken noch nach § 887 ZPO ermächtigt werden, Verfahrenshandlungen des Schuldners im Steuerfestsetzungsverfahren selbst vorzunehmen."
Ob das besondere Rechtsverhältnis zwischen Vollstreckungsgläubiger und Vollstreckungsschuldner einen materiell-rechtlichen Anspruch des Gläubigers begründen kann, das Steuerfestsetzungsverfahren zu betreiben, wurde nicht entschieden. Jedenfalls mangelt es an einem Vollstreckungstit...