Rz. 58
Zitat
BGB §§ 242, 823 Abs. 1; StVG § 7 Abs. 1; PflVG § 3 Nr. 1 v. 26.11.2001; StGB § 242
Wird nach einem von zwei Mittätern begangenen Fahrzeugdiebstahl (hier: Diebstahl eines Motorrollers) der eine Täter als Beifahrer des entwendeten Fahrzeugs bei einem vom anderen Täter als Fahrer verursachten Verkehrsunfall verletzt, so ist der verletzte Täter nach § 242 BGB (unzulässige Rechtsausübung) daran gehindert, den ihm gegen den fahrenden Mittäter zustehenden Schadensersatzanspruch gemäß § 3 Nr. 1 PflVG aF direkt gegenüber dem Kfz-Haftpflichtversicherer des bestohlenen Halters geltend zu machen.
a) Der Fall
Rz. 59
Die Klägerin, die Bundesagentur für Arbeit, verlangte von der Beklagten, einem Kfz-Haftpflichtversicherer, den Ersatz von Aufwendungen, die sie als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben an einen bei einem Verkehrsunfall Geschädigten erbracht hat.
Rz. 60
Am 8.9.2004 entwendeten der damals 15-jährige J. S. (im Folgenden: Leistungsempfänger) und der damals 16-jährige M. S. (im Folgenden: Schädiger) gemeinsam einen bei der Beklagten haftpflichtversicherten Motorroller. Über die für das Führen eines solchen Rollers erforderliche Fahrerlaubnis verfügten beide nicht. Dennoch fuhren sie mit dem Roller herum, wobei sie abwechselnd die Position des Fahrers bzw. Sozius einnahmen. Am Morgen des 9.9.2004 kollidierten sie – der Schädiger in der Position des Fahrers, der Leistungsempfänger in der Position des Sozius – im Bereich einer Kreuzung mit einem von rechts kommenden, vorfahrtsberechtigten Pkw. Der Leistungsempfänger erlitt dabei ein Polytrauma mit schwerem Schädelhirntrauma sowie weitere schwere Verletzungen, die unter anderem zu starken Sehbehinderungen und motorischen Einschränkungen führten.
Rz. 61
In den Jahren 2012 und 2013 besuchte der Leistungsempfänger eine Werkstatt für behinderte Menschen. Die Klägerin erbrachte hierfür auf der Grundlage bestandskräftiger Leistungsbescheide Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 112 ff. SGB III i.V.m. §§ 33, 44 SGB IX. Insgesamt wendete sie einen Betrag von 29.997,16 EUR auf. Hiervon verlangte sie mit ihrer Klage unter Zugrundelegung einer hälftigen Haftungsverteilung 14.998,58 EUR nebst Zinsen. Zudem begehrte sie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 116 SGB X 50 % jeden weiteren Schaden aus dem Verkehrsunfall zu ersetzen.
Rz. 62
Das LG hat die – erstinstanzlich auch gegen den Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten Pkws gerichtete – Klage abgewiesen. Auf die – ausschließlich die Beklagte betreffende – Berufung der Klägerin hat das OLG das landgerichtliche Urteil abgeändert und der Klage im von der Berufung erstrebten Umfang stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrte die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 63
Das Berufungsurteil hielt der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung stand der Klägerin der im Revisionsverfahren noch streitgegenständliche Anspruch nicht zu.
Rz. 64
Bereits der Leistungsempfänger hatte keinen durchsetzbaren Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte.
Rz. 65
Im Ergebnis noch zutreffend war das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dem Leistungsempfänger dem Grunde nach ein entsprechender Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger zustand.
Rz. 66
Fraglich war allerdings, ob sich dieser Anspruch – wie das Berufungsgericht meinte – aus § 18 Abs. 1, § 7 Abs. 1 StVG ergab. Denn es war jedenfalls zweifelhaft, ob der Leistungsempfänger aus § 18 Abs. 1 StVG einen Anspruch für sich herleiten konnte. Ganz überwiegend wird davon ausgegangen, dass die Fahrerhaftung aus § 18 StVG nicht gegenüber dem Halter besteht, der Halter den Fahrer also nicht aus § 18 Abs. 1 StVG in Anspruch nehmen kann (OLG Hamm, NJW-RR 2016, 281 Rn 14; BeckOGK/Walter, 1.11.2017, StVG § 18 Rn 4; Greger/Zwickel, in: Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 4 Rn 34; Stiefel/Maier/Jahnke, Kraftfahrtversicherung, 19. Aufl., VVG § 115 Rn 29; Hentschel/König/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., StVG § 18 Rn 3; Freymann/Wellner/Laws/Lohmeyer/Vinke, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 18 Rn 44; a.A. OLG Frankfurt a.M., VersR 1994, 1000, 1001). Begründet wird dies damit, dass § 18 StVG auf § 7 StVG Bezug nehme (so etwa Greger/Zwickel, a.a.O.; Jahnke, a.a.O.). Entsprechendes könnte im Falle einer sogenannten "Schwarzfahrt" gelten, wenn es sich beim Geschädigten zwar nicht um den Halter, wohl aber um den dem Halter im Rahmen von § 7 StVG durch § 7 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 StVG gleichgestellten unberechtigten Benutzer handelt.
Rz. 67
Im Streitfall konnte dies aber schon deshalb offen bleiben, weil jedenfalls die Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB und des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB erfüllt waren. Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Schädiger den Verkehrsunfa...