Rz. 75
Vorsicht kann hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislasten geboten sein, wenn Schadensersatz für Fahrzeugschäden geltend gemacht wird und das Fahrzeug im betroffenen Bereich bereits über Vor-/Altschäden verfügte.
Rz. 76
Als selbstverständlich erscheint zunächst, dass die Altschäden in der Regel zu einem geringeren Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs (vor dem neuen Unfall) führen und bei der Kalkulation der Reparaturkosten ggf. ein Abzug neu für alt zu berücksichtigen ist, wenn durch die Instandsetzung des neuen Unfallschadens zugleich der Altschaden mitbeseitigt wird.
Rz. 77
Ebenfalls klar dürfte sein, dass bei einer Überlagerung von bereits vor dem Unfall vorhandenen Schäden und neuen Unfallschäden nur ein Ersatz des nachweislich dem neuen Unfall zuzuordnenden Schadens in Betracht kommt. Dieser Beweis ist regelmäßig durch ein Sachverständigengutachten zu führen.
Rz. 78
Darüber hinaus existiert jedoch Rechtsprechung, welche verlangt, dass der Geschädigte bei einer Überlagerung von Schäden in demselben Bereich exakt zur Beseitigung des früheren Schadens vorträgt und diese nachweist. Danach scheidet auch ein Ersatz für dem Unfall zuzuordnende (kompatible) Schäden aus, wenn feststeht, dass nicht sämtliche Schäden auf das Unfallereignis zurückzuführen sind, ohne dass durch den Geschädigten eine substanziierte Aufklärung durch Angabe der tatsächlich vorgenommenen Reparaturschritte erfolgt (OLG Hamm r+s 2018, 392; OLG Hamm r+s 2018, 391; OLG Köln NZV 2018, 273; OLG Naumburg DAR 2018, 629; OLG Frankfurt am Main r+s 2016, 97; OLG Hamm BeckRS 2013, 06732; OLG Düsseldorf r+s 2010, 107; OLG Frankfurt am Main NZV 2007, 313; KG NZV 2008, 356; KG NZV 2007, 520). Zum Teil verlangt die Rechtsprechung für diese Aufklärung sogar den Vollbeweis gem. § 286 ZPO (OLG Naumburg DAR 2018, 629). Kann der Geschädigte nicht im Einzelnen zur behaupteten Reparatur des unstreitigen Vorschadens vortragen, weil er das Fahrzeug mit repariertem Vorschaden, aber ohne Nachweis über die Reparatur erworben hat, geht dies im Streitfall zu seinen Lasten (OLG Köln NZV 2018, 273; KG NZV 2008, 356; OLG Düsseldorf r+s 2016, 96). Nur dann, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Rahmen einer Schadensschätzung (§ 287 ZPO) auszuschließen ist, dass die kompatiblen Schäden auf einem anderen Unfallereignis beruhen, sind diese trotz des Vorliegens auch inkompatibler Schäden zu ersetzen (OLG Hamm r+s 2018, 392; OLG Düsseldorf r+s 2016, 96; OLG Frankfurt am Main r+s 2016, 97; KG MDR 2008, 142).
Noch weiter geht das OLG Celle mit einer schwer nachvollziehbaren Entscheidung zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes bei Vorschäden (OLG Celle r+s 2017, 665). Danach soll der Geschädigte bei der Abrechnung des Fahrzeugschadens auf Wiederbeschaffungsbasis nachweisen müssen, dass zwei massive Vorschäden jeweils zuvor fachgerecht beseitigt worden sind. Sei ihm dies nicht möglich, bliebe offen, von welchem Wiederbeschaffungswert auszugehen sei, sodass die Klage wegen einer dann auch nicht möglichen Schadensschätzung insgesamt abzuweisen sei. Deutlich gemäßigter geht das OLG Saarbrücken (VersR 2019, 561) davon aus, dass die Frage des Einflusses eines teilreparierten, abgrenzbaren Vorschadens auf den Wiederbeschaffungswert "nur unter Berücksichtigung aller Umstände und in aller Regel nur mithilfe sachverständiger Beratung" beantwortet werden kann; im Einzelfall könne "der nicht ausgeführte Teil der Vorschadensreparatur durch einen Abschlag vom Wiederbeschaffungswert in Höhe der (noch) erforderlichen Reparaturkosten einer freien Fachwerkstatt abgebildet werden, wenn Kfz dieses Alters und dieser Laufleistung überwiegend nicht mehr in markengebundenen Vertragswerkstätten repariert werden".
In einer jüngsten Entscheidung hat der BGH (v. 15.10.19 – VI ZR 377/18 – VersR 2020, 441) klargestellt, dass es einem Geschädigten jedenfalls möglich sein muss, auch dann die – von ihm lediglich vermutete – fachgerechte Reparatur eines Vorschadens zu behaupten und unter Zeugenbeweis zu stellen, wenn er von einem Vorschaden vor seiner Besitzzeit selbst keine Kenntnis hatte und meint, einen unbeschädigten Pkw erworben zu haben, während er über keine Möglichkeiten einer weiteren Wissenserlangung verfügt. In diesem Fall läge weder eine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht noch ein unzulässiger Ausforschungsbeweis vor.