Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 11
Die Kraftfahrzeug-Pflichtversicherung hatte bis September 1965 ihre Grundlage im PflVG vom 7.11.1939. Unfälle, die sich vor dem 1.10.1965 ereignet hatten, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgewickelt waren, waren weiter nach den Bestimmungen des PflVG 1939 zu beurteilen. Weil die Bestimmungen des PflVG 1939 nähere Regelungen hinsichtlich der Rechtsbeziehungen zwischen Versicherer, Versichertem und Geschädigtem enthielten, galten insoweit die damaligen §§ 158c ff. VVG a.F. Nach dem PflVG 1939 bestand ein unmittelbarer Anspruch des Geschädigten gegen den Versicherer nicht. Der Geschädigte hatte daher im Streitfall zunächst gegen den Schädiger einen Titel über den Schadensersatzanspruch zu erwirken und war erst im Vollstreckungsverfahren auf die Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs angewiesen, den der Versicherte seinerseits gegen den Versicherer hatte. Davon gingen die §§ 158c ff. VVG für die Regelung des Verhältnisses zwischen Versicherer, Versichertem und Geschädigtem aus.
Rz. 12
Für inländische Unfälle, die sich ab dem 1.10.1965 ereignet hatten, galt dagegen das PflVG 1965 (Rdn 8). Dieses erfüllte die sich für die Bundesrepublik Deutschland aus der Unterzeichnung des europäischen Abkommens über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge vom 20.4.1959 (Ratifizierung durch Gesetz vom 1.4.1965) ergebenden Verpflichtungen. Wesentliche Folgen aus der Umsetzung des Abkommens waren einerseits die Begründung eines Direktanspruchs des Geschädigten gegen den Versicherer (§ 3 PflVG 1965; vgl. Rdn 22 ff.), andererseits die Schaffung eines "Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen" (§ 12 PflVG; vgl. Rdn 75 ff.).
Rz. 13
Die Einführung des Direktanspruchs des Geschädigten gegen den Versicherer führte zu einer weitgehenden Neuregelung des § 3 PflVG a.F., die nicht zuletzt hinsichtlich der Verjährung eine Verbesserung der Stellung des Geschädigten zur Folge hatte. Während für Haftpflichtversicherungen, zu deren Abschluss eine gesetzliche Verpflichtung bestand (vgl. § 158b Abs. 1 VVG a.F.), im Allgemeinen die Regelungen der §§ 158c–k VVG unmittelbar Anwendung fanden, unterlag die Pflicht-Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter den Normen des VVG nur zum Teil. Insoweit enthielt vielmehr § 3 PflVG a.F. selbst die spezialgesetzlichen Regelungen zur Pflichtversicherung des Kraftfahrzeughalters. Namentlich die Rechtsbeziehungen zwischen dem Geschädigten und dem Versicherer erfuhren in § 3 PflVG a.F. damit eine gesonderte normative Behandlung. Im Bereich der Kraftfahrzeughaftpflicht waren hinsichtlich der Rechtsbeziehung des Geschädigten ("Dritter" im Sinne des § 158c ff. VVG a.F.) zum Versicherer nur noch die §§ 158g–158k VVG a.F. anzuwenden. Im Übrigen ergaben sich die Einzelheiten des Direktanspruchs gegen den Versicherer unmittelbar aus § 3 PflVG a.F., der seinerseits Verweisungen auf das VVG enthielt.
Rz. 14
Die VVG-Reform führt im Sinne der redaktionellen Klarstellung dazu, dass sich die rechtlichen Einzelheiten der Kraftfahrzeug-Pflichtversicherung weitgehend nach den §§ 113 ff. VVG bestimmen. Indessen knüpfen die Neuregelungen allerdings weitgehend an die Regelungen des § 3 PflVG a.F. an. Gesetzliche Grundlage für den Direktanspruch ist nach der Reform nunmehr § 115 VVG, der inhaltlich allerdings weitgehend der damaligen Regelung nach § 3 PflVG a.F. entspricht. Das PflVG seinerseits enthält jetzt nur noch Regelungen für branchenspezifische Sonderfälle, so dass vorwiegend das VVG gilt. Im Übrigen ist das PflVG im Bereich von Ansprüchen aus dem Entschädigungsfonds nach § 12 PflVG von Bedeutung (Rdn 75 ff.).