Rz. 30
Die Bindung von Todes wegen betrifft zwei verschiedene Bereiche des Erbrechts:
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Zum einen die Bindung des Erblassers an zwingende Rechtsregeln (ius cogens) |
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Zum anderen die rechtsgeschäftliche Selbstbindung des Erblassers an seine eigene von ihm selbst getroffene Verfügung von Todes wegen. |
Letztgenannte Bindung ist Gegenstand dieser Darstellung.
Rz. 31
Die Selbstbindung des Erblassers kennt das BGB bei zwei Rechtsinstituten:
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Beim wechselbezüglichen gemeinschaftlichen Testament und |
(2) |
beim Erbvertrag. |
Im Gegensatz zu einigen anderen Rechtsordnungen behandelt das BGB den Erbver-zichtsvertrag nicht als Verfügung von Todes wegen, sondern als Rechtsgeschäft unter Lebenden.
Rz. 32
Selbstbindung des Individuums an rechtsgeschäftliche Zusagen einerseits und Gestal-tungsfreiheit andererseits sind zentrale Felder des Zivilrechts. Während das pactum als verbindliches Rechtsgeschäft sehr bald in archaischen Rechtsordnungen auftaucht, versteht sich die Bindung von Todes wegen zuallererst als Bindung an gesetzliche Vorgaben und nicht als Bindung an selbst getroffene Vermögensverfügungen für die Zeit nach dem eigenen Tod.
Dennoch steht die Selbstbindung in einem Zusammenhang mit zwingenden Rechtsregeln: Testierfreiheit des Erblassers einerseits und Erwartungen der nächsten Angehörigen stehen in einem diametralen Spannungsverhältnis, das so beschrieben werden kann: Der Erblasser will bestimmen, in welchem Maße er wen begünstigt. Demgegenüber möchte der Erbe einen Teil davon abhaben. Die zentrale Frage lautet somit: Was wiegt schwerer? Es liegt auf der Hand, dass diese Frage in den einzelnen Ländern je nach kultureller Ausrichtung und Staatsverfassung unterschiedlich beantwortet wird.
Rz. 33
Das BGB als einem Zivilgesetzbuch, das nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 ein einheitliches Zivilrecht zu schaffen hatte, musste ganz unterschiedliche Rechtstraditionen, die sich in großer Vielfalt als Folge einer unübersehbaren Kleinstaaterei entwickelt hatten, zu einem einheitlichen System zusammenfassen. Es folgt dabei – mit Kompromissen – sowohl römisch-rechtlichen Grundsätzen als auch Rechtsentwicklungen des Mittelalters, gepaart mit Erkenntnissen und Überzeugungen aus aufklärerischem Gedankengut.
Im Grundsatz hat das BGB die römisch-rechtliche Auffassung der Testierfreiheit über-nommen, deren Wesensgehalt darin besteht, dass sie keinen rechtsgeschäftlichen Bindungen unterworfen werden kann, vielmehr nach freiem, höchst persönlichem Entschluss ausgeübt wird. Die Testierfreiheit im römisch-rechtlichen Sinne ist grundsätzlich ungebunden. Dieses vom BGB übernommene Prinzip äußert sich im gesetzlichen Verbot des § 2302 BGB, das nur ausnahmsweise bei der bindend gewordenen wechselbezüglichen Verfügung und im Erbvertragsrecht kompromissweise durchbrochen wird, allerdings beschränkt auf Erbeinsetzung, Vermächtnis- und Auflagenanordnung (§§ 2270 Abs. 3, 2278 Abs. 2 BGB). Die gesetzlichen Widerrufs-, Anfechtungs- und Rücktrittsrechte in Bezug auf bindende Verfügungen von Todes wegen sind ein weiterer Ausfluss des Grundsatzes der hoch angesiedelten Testierfreiheit.
Rz. 34
Das Grundgesetz nimmt sich in der Erbrechtsgarantie des Art. 14 GG des eingangs beschriebenen Spannungsverhältnisses an und gewährt einerseits dem Erblasser Tes-tierfreiheit, andererseits aber auch einem Kreis nächster Angehöriger einen Anspruch auf eine bedarfsunabhängige Teilhabe am Vermögen des Erblassers.
Rz. 35
Es sind die im Zivilrecht verankerten Prinzipien des Familien- und Verwandtenerbrechts und der Testierfreiheit. Das Familien- und Verwandtenerbrecht sichert nahen Familienangehörigen ein Anrecht auf substanzielle Beteiligung am Nachlass des Erblassers, gestützt auf die Wertentscheidung in Art. 6 Abs. 1 GG. Die Testierfreiheit sichert dem Erblasser das Recht, sein Vermögen rechtlich und wirtschaftlich zu teilen und seinen Vermögens-nachfolger ("Rechtsnachfolger") frei auszuwählen.
Dieses verfassungsrechtlich garantierten Recht der Testierfreiheit kann sich der Erblasser in eingeschränkter Weise im Wege individuellen Rechtsbindungswillens begeben.