Rz. 38

Das Verwaltungsverfahren kennt ebenso wie der Verwaltungsprozess grundsätzlich keine Behauptungslast und Beweisführungspflicht,[44] also keine formelle Beweislast, sondern nur die materielle Beweislast des "non liquet", d.h. die Notwendigkeit, eine trotz aller Bemühungen gegebenenfalls verbleibende Unerweislichkeit von Tatsachen entweder zu Lasten der Behörde oder zu Lasten des Betroffenen gehen zu lassen. Die Frage, wer die materielle Beweislast trägt, ist eine Frage des jeweiligen materiellen Rechts.[45]

 

Rz. 39

Geht es um die Frage, ob eine FE erstmalig oder erneut erteilt werden darf, so ist es Sache des Bewerbers, seine bestehende oder wiedergewonnene Fahreignung nachzuweisen; nicht ausräumbare Zweifel gehen zu seinen Lasten. Anders verhält es sich, wenn eine FE entzogen wird: Da die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts, der in die immateriellen oder materiellen Rechte ("in Freiheit oder Eigentum") einer Person eingreift, davon abhängt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der einschlägigen Befugnisnorm nachweislich erfüllt sind, liegt die materielle Beweislast insoweit bei der Behörde.[46]

 

Rz. 40

Im Antragsverfahren auf Erlass eines begünstigenden Verwaltungsaktes (z.B. Erteilung oder Wiedererteilung der FE, vgl. § 21 FeV), muss die Behörde dem Antrag jedenfalls dann stattgeben, wenn der Antragsteller aufgrund des materiellen Rechts einen Anspruch auf den Erlass des beantragten VA hat und wenn die Voraussetzungen einer rechtshindernden Ausnahme nicht erwiesen sind.[47]

 

Rz. 41

In der BT-Drucks 13/6914, S. 64 ist zu dieser Frage ausgeführt:

Zitat

"Während in Bezug auf das Erfordernis “Eignung‘ bisher in § 2 Abs. 1 S. 2 StVG (Anm.: a.F.) lediglich verlangt wurde, dass “nicht Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass er (der Bewerber) zum Führen von Kfz ungeeignet ist‘, das Gesetz also von der Eignung des Bewerbers ausging (Eignungsvermutung) und die Behörde grundsätzlich die Beweislast für die Nichteignung trug, wird nun (Anm. durch das StVG-1999, § 2 Abs. 2 Nr. 3) positiv gefordert, dass der Bewerber geeignet ist. Der Begriff der Eignung ist in Absatz 4 definiert. Wie die Fahrerlaubnisbehörde die Eignung zu überprüfen und sie der Bewerber nachzuweisen hat, ist in den Absätzen 6 bis 8 angesprochen und wird im Einzelnen durch VO geregelt. In den Klassen C, C1, D und D1 wird es eine ärztliche Untersuchung bei der Erteilung der FE und später Wiederholungsuntersuchungen in noch festzulegenden Abständen geben. In den übrigen Klassen sollen Untersuchungen nur angeordnet werden, wenn im Einzelfall dazu Anlass besteht. Zu anderen Ergebnissen dürfte die (Gesetzes-)Änderung daher allenfalls bei einer Beweislastentscheidung führen, d.h. bei nicht aufklärbaren Eignungszweifeln. Dazu dürfte es jedoch höchst selten kommen. Die Neuregelung ändert nichts daran, dass der Bewerber einen Rechtsanspruch auf Erteilung der FE hat, wenn er die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt."

 

Rz. 42

Vor dem Hintergrund des Art. 2 Abs. 1 GG ändert hieran auch die Regelung des § 2 Abs. 6 S. 1 StVG nichts. Auch die Voraussetzungen "nach Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 6" (vgl. § 2 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 StVG), also insbesondere auch Eignung und Befähigung, müssen damit nicht in jedem Fall, sondern nur in den von der FeV bestimmten Fällen (vgl. z.B. § 21 Abs. 3 FeV) "nachgewiesen" werden.[48] Demzufolge geht das OVG RP auch zu Recht davon aus, dass der von der Entziehung der FE bedrohte Kraftfahrer nicht verpflichtet ist, seine Eignung zu beweisen. Konsequenterweise wird damit die für ihn grundsätzlich bestehende Mitwirkungspflicht im Rahmen der Klärung von Eignungszweifeln auch dann erst einsetzen, wenn die Behörde einen durch Tatsachen getragenen Anfangsverdacht für Eignungszweifel belegen kann.[49]

 

Rz. 43

Auch Jagow,[50]Gehrmann[51] und Janker[52] gehen dementsprechend von einer differenzierten Betrachtungsweise und davon aus, dass es bei den Klassen A und B sowie bei den Klassen T und L keine allgemeine Nachweispflicht für die Eignung geben wird. Die heutige Praxis gilt für diese Klassen künftig weiter. Bei ernstzunehmenden Bedenken gegen die Eignung liegt es aber am FE-Bewerber zu beweisen, dass er die Eignungsmerkmale erfüllt.[53]

 

Rz. 44

In der Situation der nicht aufklärbaren Eignungszweifel wird sich die Unmöglichkeit der Gewinnung der letzten Klarheit über die Fahreignung nach der Vorstellung des Gesetzgebers damit nunmehr allerdings zu Lasten des FE-Bewerbers auswirken.[54] Der "Optimismus des Gesetzgebers", wonach es sich bei nicht aufklärbaren Eignungszweifeln um höchst seltene Fallgestaltungen handeln soll, wird dabei übrigens gerade nicht geteilt.[55]

 

Rz. 45

Hat der Bürger unter Berücksichtigung der Wertung des Gesetzes (§ 69a StGB) durch eine Trunkenheitsfahrt "unter Beweis gestellt", dass er nicht geeignet ist, so ist in der Folge dieser Bürger der Allgemeinheit gegenüber beweispflichtig, dass er seine Eignung wiederhergestellt hat. Die Schwierigkeiten einer solchen Beweisführung müssen aber im weiteren Zeitablauf Berücksichtigung f...

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