A. Allgemeines
Rz. 272
Die Globalisierung und Internationalisierung der Wirtschaft ist die Hauptantriebsfeder, Arbeitnehmer nicht mehr nur dauerhaft an einem Ort zu beschäftigen, sondern sie nunmehr während ihres Arbeitslebens in mehreren als nur einem Land einzusetzen. In vielen Branchen ist es die Regel, dass die Arbeitnehmer in der gesamten Lebensarbeitszeit in mehreren Ländern beschäftigt werden, wozu auch die Dienstleistungsfreiheit innerhalb der EU beigetragen hat. Es kommt daher immer häufiger zu einer Wanderung der Arbeitnehmer über die Grenzen, und dies nicht nur innerhalb der europäischen Grenzen.
Die Frage, die sich in solchen Fällen stellt, ist, welche sozialversicherungsrechtliche Auswirkung die Beschäftigung in einem anderen Staat auf den sozialversicherungsrechtlichen Status des Arbeitnehmers hat.
Rz. 273
Der Praktiker in der täglichen Personalarbeit wird mit Fragen konfrontiert, wie:
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Findet das Recht des Staates in dem der Arbeitnehmer beschäftigt wird auf das Arbeitsverhältnis Anwendung? |
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Findet das Sozialversicherungsrecht der BRD auf das Arbeitsverhältnis Anwendung? |
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Finden evtl. sogar beide sozialversicherungsrechtlichen Systeme auf das Arbeitsverhältnis Anwendung? |
Rz. 274
In unserer langjährigen Seminarpraxis konnte festgestellt werden, dass die einfachen Strukturen zur Prüfung eines solchen Sachverhalts meist fehlen, bzw. die unterschiedlichen Voraussetzungen miteinander vermischt werden.
Sehr häufig wird insb. mit den sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen sehr nachlässig umgegangen. Dies rührt aus der Tatsache, dass häufig eingefahrene Strukturen bestehen und dort nach dem Schema "Das haben wir schon immer so gemacht" verfahren wird und daher nicht hinterfragt wird, ob diese sozialversicherungsrechtliche Beurteilung tatsächlich den heutigen Rechts- und Regelungstatbeständen entspricht. Hierzu ist anzumerken, dass die Großzahl der Fälle in denen eine falsche sozialversicherungsrechtliche Behandlung des Arbeitnehmers stattfindet, nicht auffällt. Auffallen können falsche Beitragsabführungen nur dann, wenn z.B. bei einer Betriebsprüfung (§ 28p Abs. 1 Satz 1 SGB IV) der Rentenversicherungsträger im Einzelnen das Vorliegen der Tatsachen, die für oder gegen eine Beitragspflicht sprechen, nachträglich feststellt. Wird festgestellt, dass die Beiträge falsch abgeführt worden sind, mithin eine Beitragspflicht in Deutschland nicht bestanden hat, kann dies in einem gleichzeitigen Eintritt eines Leistungsfalls dazu führen, dass der Arbeitnehmer keinen Schutz in der Sozialversicherung erhält. Im Leistungsfall ist der Sozialversicherungsträger, der die Leistung zu erbringen hat, berechtigt eigene Prüfungen darüber anzustellen, ob eine Beitragspflicht in Deutschland bestanden hat. Wird von diesem festgestellt, dass eine Beitragspflicht in Deutschland nicht bestanden hat und sind mithin die Beiträge ohne Verpflichtung nach deutschem Sozialversicherungsrecht gezahlt worden, kann der Versicherungsträger die Beiträge zurückzahlen und die Leistung verweigern. Ebenso kann die Betriebsprüfung, falls keine Beiträge in Deutschland abgeführt worden sind, jedoch im Nachhinein feststellen, dass die Tatsachen vom Arbeitgeber falsch gewürdigt wurden und eine Beitragspflicht in Deutschland tatsächlich gegeben war. In diesem Fall kommen Nachzahlungsforderungen auf den Arbeitgeber zu, die dieser alleine zu tragen hat.
Beide Fälle, die Leistungsfreiheit der Sozialversicherungsträger trotz Beitragsabführung oder die Nachzahlungsforderung wegen unterbliebener Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen, können beim Arbeitgeber zu enormen Risiken führen.
Rz. 275
Die nachfolgenden Erläuterungen sollen der Praxis die Möglichkeit eröffnen, die Risiken der sozialversicherungsrechtlichen Falschbeurteilung der Voraussetzungen bei der Tätigkeit von Arbeitnehmern im Ausland besser einschätzen zu können. Darüber hinaus soll die Möglichkeit eröffnet werden, die Tatsachen, anhand derer sich die Sozialversicherungspflicht entscheidet, zu erkennen und richtige Lösungen zuzuführen.
Voraussetzung hierfür ist, dass die bestehenden Systematiken, anhand derer auch die Sozialversicherungsträger, also z.B. die Beitragseinzugsstellen (regelmäßig sind dies die Krankenkassen), der Rentenversicherungsträger oder die Berufsgenossenschaft, ihre Prüfungen vornehmen, in der täglichen Praxis erkannt und umgesetzt werden.
Hauptkriterium für die Feststellung, ob und ggf. auf welcher gesetzlichen Grundlage während einer Beschäftigung im Ausland die deutschen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit weiterhin Anwendung finden sollen oder können, ist in erster Linie die Identifizierung des Staats, in dem die Beschäftigung erfolgen wird und wer während der Dauer der dortigen Tätigkeit als Arbeitgeber anzusehen ist.
B. Beschäftigungslandprinzip
Rz. 276
Das Prinzip des Beschäftigungslands ist für die Auslandstätigkeit des Arbeitnehmers von entscheidender Bedeutung. Zunächst ist festzustellen, dass eine Sozialversicherungspflicht immer in dem Land stattfindet in dem die Beschäftigung des Arbe...