Rz. 83

Eine weitere Problematik bei Nutzfahrzeugen ist die Übersichtlichkeit. Es liegen hier hoch aufbauende Fahrzeuge vor, wobei z.B. im Lkw, anders als im KOM, der Fahrer nur wenige Möglichkeiten hat, direkt den Bereich vor seinem Lkw einzusehen. Die hohe Sitzposition bedingt eine Zone, die vom Fahrerplatz aus nicht direkt eingesehen werden kann (Toter Winkel, vgl. Abb. 5.63 bis 5.65).

 

Abb. 5.65

Sehr problematisch ist dabei der markierte Bereich wie in Abb. 5.65. Dies ist der Bereich, in dem sich bei innerststädtischem Verkehr meist Fußgänger oder Radfahrer aufhalten. Ca. 13 % aller Unfälle mit Personenschaden sind auf Abbiegeunfälle zurückzuführen. Der Lkw-Fahrer hat nicht die Möglichkeit, den Schulterblick nach rechts beim ­Abbiegen durchzuführen, er muss sich ­dabei nur auf die Spiegel rechts am Lkw verlassen. Beim Abbiegen kann es dann zu gefährlichen Situationen kommen. Wird ein Fußgänger/Radfahrer von einem Lkw in diesem Bereich erfasst, so sind schwerste, wenn nicht gar tödliche Verletzungen zu erwarten.

 

Rz. 84

Um dem Fahrer nun den Einblick in diese Zonen zu ermöglichen, wurde der sog. Frontspiegel entwickelt (Abb. 5.66 und 5.67). Dieser ist seit April 2009 gesetzlich gefordert. Für Fahrzeuge ab Baujahr 2000 gilt sogar eine Nachrüstpflicht.

 

Es ist möglich, diesen auch durch ein Videosystem zu ersetzen (Abb. 5.68 und 5.69), wobei dann mit einem Bildschirm im Fahrzeug der tote Winkel abgebildet wird.

 
 

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Im folgenden Praxisbeispiel erfasste ein nach rechts abbiegender Lkw einen Radfahrer. Der Lkw verfügte über das o.a. Videosystem. Der rechts abbiegende Lkw touchierte mit der rechten Seite den Radfahrer und begrub ihn unter seinem Fahrzeug. Der Kontakt erfolgte eindeutig in der Zone des toten Winkels. Der Radfahrer erlitt beim Zusammenstoß tödliche Verletzungen. Bei der Unfallaufnahme wurde nicht berücksichtigt, dass das Fahrzeug über ein solches Videosystem verfügt. Erst die Nachbesichtigung des Fahrzeuges durch einen Sachverständigen ergab, dass für den Fahrer der tote Winkelbereich, in dem sich der Radfahrer zum Zeitpunkt des Abbiegens befunden haben muss (konnte anhand der Spuren am Lkw nachvollzogen werden), einsehbar war.

Dieses Videosystem ist bis zu einer Geschwindigkeit von 30 km/h aktiv. Im Fahrzeug befindet sich ein großer Monitor, über den die Überwachung des toten Winkelbereiches problemlos machbar ist.

Es stellte sich jedoch heraus, dass bei einem Seitenabstand des Radfahrers von gut 4,5 m zum Lkw dieser nicht mehr innerhalb des Abbildungsbereichs der Kamera fuhr. Verknüpft man dies nun mit den örtlichen Begebenheiten, ließ sich aufzeigen, dass der Radfahrer auch einen angrenzenden Radweg befahren haben kann und von diesem aus dann in den abbiegenden Lkw hineinfuhr.

Der Abstand zwischen Lkw und Fußweg entsprach genau der Distanz zwischen der Radfahrerposition außerhalb des Abbildungsbereichs der Kamera und dem Lkw.

Dieser Fall sollte im Rahmen eines Strafverfahrens geprüft werden, wobei dann die Position des Radfahrers letztlich für die Klärung der Vermeidbarkeit des Unfallgeschehens nicht unerheblich war.

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