Dr. Christopher Riedel, Prof. Dr. Carmen Griesel
a) Anwendungsbereich
Rz. 301
Das vereinfachte Ertragswertverfahren ist rechtsformneutral sowohl für Kapitalgesellschaften als auch für Personenunternehmen anzuwenden. Es ist für alle Unternehmen unabhängig von deren Größe anwendbar, sofern es nicht zu unzutreffenden Ergebnissen führt, § 199 Abs. 1 BewG. Führt das Ergebnis zu offensichtlich unzutreffenden Werten, sind andere im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nicht steuerliche Zwecke übliche Verfahren zu verwenden und der gemeine Wert ist in der Praxis regelmäßig durch individuelle Gutachten nachzuweisen. Sind branchentypisch ertragswertorientierte Verfahren nicht anzuwenden, ist die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens ausgeschlossen.
Rz. 302
Der nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren ermittelte Unternehmenswert kann vom gemeinen Wert abweichen. Das Finanzamt ist grundsätzlich an den erklärten Wert nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren gebunden, wenn er nicht offensichtlich unzutreffend ist. Unter welchen Voraussetzungen das der Fall ist, ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Erkenntnisse über eine offensichtlich unzutreffende Wertermittlung des gemeinen Werts nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren können beispielsweise in den nachstehenden Fällen vorliegen:
▪ |
Zeitnahe Verkäufe, wenn diese nach dem Bewertungsstichtag liegen, |
▪ |
Verkäufe, die mehr als ein Jahr vor dem Bewertungsstichtag liegen und |
▪ |
Erbauseinandersetzungen, bei denen die Verteilung der Erbmasse Rückschlüsse auf den gemeinen Wert zulässt. |
Rz. 303
Nach zutreffender Auffassung der Finanzverwaltung hat (nur) der Steuerpflichtige nach § 199 Abs. 1 und 2 BewG Wahlrecht, das vereinfachte Ertragswertverfahren oder ein anderes Ertragswertverfahren anzuwenden. Allerdings ist hierfür gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung, dass dessen Anwendung nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt. Sofern das Finanzamt Zweifel an der Anwendbarkeit des vereinfachten Ertragswertverfahrens hat, sind diese zum einen vom Finanzamt substantiiert darzulegen und zum anderen ist dem Steuerpflichtigen Gelegenheit zu geben, die Bedenken des Finanzamts auszuräumen.
Rz. 304
Zur Ausräumung der Bedenken muss der Steuerpflichtige substantiiert darlegen, warum das vereinfachte Ertragswertverfahren nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis, d.h. zu einem zutreffenden Ergebnis führt. Können die Zweifel des Finanzamts nicht ausgeräumt werden, kann davon ausgegangen werden, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Wahlrechts nicht vorliegen und die Bewertung ist nach allgemeinen Grundsätzen vorzunehmen.
Rz. 305
Das vereinfachte Ertragswertverfahren kann wegen Vorliegen begründeter Zweifel vor allem in folgenden Fällen zu unzutreffenden Ergebnissen führen
1. |
bei komplexen Strukturen von verbundenen Unternehmen; |
2. |
bei neu gegründeten Unternehmen, bei denen der künftige Jahresertrag noch nicht aus den Vergangenheitserträgen abgeleitet werden kann, insbesondere bei Gründungen innerhalb eines Jahres vor dem Bewertungsstichtag, weil das vereinfachte Ertragswertverfahren hier regelmäßig, zum Beispiel wegen hoher Gründungs- und Ingangsetzungsaufwendungen, zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt; |
3. |
bei Branchenwechsel eines Unternehmens, bei dem deshalb der künftige Jahresertrag noch nicht aus den Vergangenheitserträgen abgeleitet werden kann; |
4. |
in sonstigen Fällen, in denen aufgrund der besonderen Umstände der künftige Jahresertrag nicht aus den Vergangenheitserträgen abgeleitet werden kann. Hierzu gehören zum Beispiel Wachstumsunternehmen, branchenbezogene oder allgemeine Krisensituationen oder absehbare Änderungen des künftigen wirtschaftlichen Umfeldes; |
5. |
bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, zum Beispiel nach § 1 AStG, § 4 Abs. 1 S. 3 EStG oder § 12 Abs. 1 KStG, sofern der jeweils andere Staat nicht die Ergebnisse des vereinfachten Ertragswertverfahrens seiner Besteuerung zugrunde legt. |
In den Fällen der Neugründung oder des Branchenwechsels bestehen nach Auffassung der Finanzverwaltung grundsätzlich keine Bedenken den Substanzwert als Mindestwert (§ 11 Abs. 2 BewG) anzusetzen, sofern dies nicht zu unzutreffenden Ergebnissen führt.
Rz. 306
Auf die Bewertung ausländischer Unternehmen sind die Regelungen des vereinfachten Ertragswertverfahrens – und damit auch hinsichtlich der Ermittlung des nachhaltig erzielbaren Jahresertrags – grundsätzlich entsprechend anzuwenden, sofern dies nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt. Die Ermittlung der Bewertungsgrundlagen hat in der jeweiligen Landeswährung zu erfolgen. Der in dieser Währung ermittelte Ertragswert ist mit dem für den Bewertungsstichtag festgestellten Devisenkurs in EUR umzurechnen. Für die Gewinnermittlung können die im jeweiligen Land geltenden Gewinnermittlungsvorschriften zugrunde gelegt werden, wenn sie die notwendigen Korrekturen zulassen. Auch der für inländische Unternehmen maßgebende Kapitalisierungsfaktor i...