Rz. 29
Bei der Einführung oder Anwendung elektronischer und biometrischer Zugangskontrollen muss der Arbeitgeber auch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG berücksichtigen.
Rz. 30
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb ein Mitbestimmungsrecht. Gegenstand des Mitbestimmungsrechtes ist das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb, also das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Dieses Zusammenleben und Zusammenwirken kann der Arbeitgeber kraft seiner Leitungsmacht durch Verhaltensregeln oder sonstige Maßnahmen beeinflussen und koordinieren. Freilich hat der Betriebsrat nur bei solchen Maßnahmen mitzubestimmen, die das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer im Betrieb betreffen. Mitbestimmungsfrei sind hingegen Maßnahmen, die das Arbeitsverhalten regeln sollen, da solche Maßnahmen lediglich die Arbeitspflicht der Arbeitnehmer unmittelbar konkretisieren. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts betreffen Regelungen über das Betreten und das Verlassen des Betriebs regelmäßig das mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer, es sei denn, das System legt nur fest, auf welche Weise der Betrieb betreten werden soll.
Rz. 31
Daher ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Einführung von Stechuhren, die Regelung des Ausgangsrechts sowie die Einführung und die Veränderung von Anwesenheitslisten mitbestimmungspflichtig sind. Wie auch bei § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterliegt die Installation eines bloßen Zugangssicherungssystems, das bei der Präsentation von kodierten Ausweiskarten, die für alle Arbeitnehmer gleich sind, den Ein- oder Ausgang zum Betriebsgebäude freigibt, nicht der Mitbestimmung, wenn durch das System nicht kontrolliert wird, wer wann in welche Richtung den Zugang benutzt. Ist die elektronische oder biometrische Zugangskontrolle jedoch von individuellen Merkmalen der Arbeitnehmer abhängig, etwa einem individuellen Code oder von ihren persönlichen biometrischen Merkmalen, handelt es sich um das mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer. Denn diese Regelungen sind Maßnahmen, die geeignet sind, das Verhalten der Arbeitnehmer zu beeinflussen und zu koordinieren.
Rz. 32
Das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG wird auch ausgelöst, wenn der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer anweist, sich bei einem anderen Unternehmen einer biometrischen oder elektronischen Zugangskontrollsysteme zu unterziehen. Zwar ist das außerbetriebliche Verhalten der Arbeitnehmer der Regelungskompetenz der Betriebsparteien nach § 87 BetrVG entzogen. Der Begriff des Betriebs im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist allerdings nicht auf die Betriebsstätte selbst beschränkt. Der Begriff des Betriebs ist nicht räumlich, sondern funktional zu verstehen, was aus dem Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts folgt. Geht es um das Verhalten der Arbeitnehmer außerhalb der Betriebsstätte, ist ebenfalls betriebliches Verhalten betroffen, wenn die Arbeitnehmer z.B. als Außendienstmitarbeiter, Kraftfahrer oder Kundendienstmonteure ihre arbeitsvertragliche Tätigkeit nicht in den Räumlichkeiten des Betriebs des Arbeitgebers verrichten, sondern in einem anderen Betrieb tätig sind und dort biometrischen oder elektronischen Zugangskontrollen unterworfen sind. Denn das mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten ist auch dann betroffen, wenn der Vertragsarbeitgeber seine Arbeitnehmer anweist, sich nach den in einem Kundenbetrieb bestehenden Regeln zu verhalten. Der Arbeitgeber übernimmt in einem solchen Fall die Verhaltensregeln des Dritten und gibt sie seinen Arbeitnehmern vor. Selbst wenn der Vertragspartner des Arbeitgebers den Arbeitgeber dazu verpflichtet, seine Arbeitnehmer der biometrischen oder elektronischen Zugangskontrolle zu unterwerfen, löst dies das Mitbestimmungsrecht aus. Der Arbeitgeber muss durch eine entsprechende Vertragsgestaltung sicherstellen, dass die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gewährleistet ist.
Ist das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ausgelöst, muss der Arbeitgeber den Betriebsrat an der Entscheidung beteiligen, ob überhaupt, wenn ja nach welchen Grundsätzen und für welche Dauer sich Arbeitnehmer der Zugangskontrolle unterziehen müssen.