Rz. 248
Es stellt sich die Frage, ob vorprozessuale Anwaltskosten, die in Familiensachen angefallen sind, materiell-rechtlich erstattungsfähig sind. Ein Anspruch kann sich beispielsweise aus Verzug, §§ 280, 286 BGB ergeben. Da insbesondere bei anwaltlicher Tätigkeit in Unterhaltssachen der Verzug erst durch die Tätigkeit des Rechtsanwalts herbeigeführt wird, stellt sich die Frage, ob Anwaltskosten erstattungsfähig sind, die vor Verzug entstanden sind. Nach Ansicht der Verfasserin sind jedoch die Kosten eines Anwalts gerade in Unterhaltssachen notwendig, da davon auszugehen ist, dass eine Partei in der Regel den Unterhalt nicht selbst berechnen kann und dabei auf anwaltliche Hilfe angewiesen ist. Folgt man diesem Argument nicht, kann hier zumindest analog auf § 93 ZPO zurückgegriffen werden. Dies würde bedeuten: Zahlt die Gegenseite den geforderten Unterhalt nach Aufforderung durch den Rechtsanwalt, scheidet eine Kostenerstattung aus. Dies ist jedoch in Unterhaltsangelegenheiten selten der Fall. In der Regel folgt dem ersten Aufforderungsschreiben mit Fristsetzung (dem möglicherweise eine Tätigkeit betreffend die Auskunftserteilung vorausging) mindestens ein weiteres. Spätestens dann müsste jedoch nach Ansicht der Verfasserin auch eine Erstattungspflicht der Gegenseite gegeben sein. Kindermann gibt zu bedenken, dass ein Gegner möglicherweise einwenden könne, den Mandanten treffe hinsichtlich des Umfangs der Tätigkeit ein Mitverschulden, wobei sie sich dafür ausspricht, diesen Einwand zu verwehren, da es der Unterhaltspflichtige selbst in der Hand hat, wie umfangreich die Angelegenheit wird, und dem Unterhaltsberechtigten nicht auferlegt werden könne, sich möglichst wenig um die Angelegenheit zu kümmern, um die Gebühren niedrig zu halten. Nicht haltbar ist nach Meinung der Verfasserin der Einwand, es hätte sogleich Verfahrensauftrag erteilt werden können, um die Gebühren niedrig zu halten, da bei einem Aufforderungsschreiben im Rahmen eines Verfahrensauftrags bei vorzeitiger Erledigung lediglich eine 0,8 Verfahrensgebühr anfalle (im Gegensatz zu einer 1,3 Geschäftsgebühr). Hierbei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass bei einem Aufforderungsschreiben (mit Verfahrensauftrag) durch eine Besprechung im Sinne der Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG eine 1,2 Terminsgebühr entstehen kann, und sich somit der Gebührenanfall auf 2,0 erhöhen kann. Welche Variante die "günstigere" ist, kann naturgemäß ex ante nicht immer gesagt werden. Und gerade in Familiensachen ist doch im Interesse einer Gerichtsentlastung und einer Vermeidung von "weiterem Zündstoff" zunächst eine außergerichtliche Tätigkeit angezeigt.
Rz. 249
Achtung!
Es ist darauf zu achten, dass hinsichtlich des Gebührensatzes keine Festlegung erfolgt, sondern für den Fall weitergehender Tätigkeit eine Nachliquidation ausdrücklich vorbehalten bleibt, da er sonst an sein einmal ausgeübtes Ermessen gebunden ist, § 315 Abs. 2 BGB.
Rz. 250
Ob sich eine Erstattungsfähigkeit der Geschäftsgebühr in Familiensachen auch aus anderen Anspruchsgrundlagen, wie z.B. §§ 1578 Abs. 1 S. 2 BGB, 1613 Abs. 2 S. 1 BGB (Sonderbedarf), 823 Abs. 2 BGB (unerlaubte Handlung) ergeben kann, wird von Kindermann umfassend beleuchtet. Kindermann hält ältere Rechtsprechung insoweit für überholt. Die Frage, ob durch eine Verletzung absoluter Rechte (wie z.B. des Umgangsrechts) ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB entsteht, wird von Kindermann bejaht.
Rz. 251
Nach dem OLG München können außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren als Verzugsschaden im Unterhaltsprozess geltend gemacht werden; es handelt insoweit um eine Familiensache kraft Sachzusammenhang.
Rz. 252
Das OLG Oldenburg vertritt die Auffassung, dass sich in Unterhaltsstreitigkeiten die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage für die Erstattung der vorgerichtlichen Kosten regelmäßig nur aus Verzug ergeben kann.
Sofern die erste, den Verzug begründende Mahnung durch den Anwalt erfolge, so das OLG Oldenburg weiter, könne die Erstattung nicht beansprucht werden; dieses Ergebnis möge häufig unbillig erscheinen, sei aber Folge der gesetzlichen Konzeption des RVG und könne nicht durch Gerichte korrigiert werden. Hierzu ist folgendes auszuführen: Es ist zwar richtig, dass ein Verzugsschaden auch erst ab Eintritt des Verzugs gefordert werden kann. Die Tatsache, dass der Rechtsanwalt aber bereits verzugsbegründend tätig geworden ist, hindert meiner Meinung nach die Entstehung eines weiteren Schadens ab Verzug nicht. Eine Gebühr entsteht mehrmals, und zwar löst jede entsprechende Tätigkeit die Gebühr von Neuem aus. Sie kann allerdings wegen § 15 Abs. 2 RVG nur einmal gefordert werden. Dies bedeutet im Ergebnis, dass die Geschäftsgebühr für jedes Schreiben des Anwalts entsteht, wegen der Einschränkung des § 15 Abs. 2 RVG aber insgesamt nur einmal gefordert werden kann, wobei die Geschäftsgebühr als Pauschgebühr eine Reihe von Tätigkeiten abgilt, § 15 Abs. 1 RVG. Damit entsteht die Geschäftsgebühr auch für die weitere Tätigkeit des ...