Rz. 254
Was die Frage eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs bei Abwehr unberechtigter Ansprüche betrifft, so geht der BGH nicht davon aus, dass grundsätzlich ein solcher Anspruch besteht, wenn jemand mit einer unberechtigten Forderung konfrontiert wird und diese durch einen Anwalt zurückweist.
Zitat
"Die Inanspruchnahme wegen einer Geldforderung begründet nicht ohne weiteres einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch des in Anspruch Genommenen hinsichtlich der für die außergerichtliche Abwehr des Anspruchs aufgewendeten Anwaltskosten."
Rz. 255
In einer Forderungsangelegenheit wurden durch die Anspruchsgegner die geltend gemachten Ansprüche als unbegründet zurückgewiesen. Hierfür waren Kosten in Höhe von 2.483,66 EUR entstanden. Das Berufungsgericht bejahte zunächst einen Kostenerstattungsanspruch mit der Begründung, dass aufgrund der als unberechtigt anzusehenden Forderung zwischen den Parteien eine quasi-deliktische Sonderverbindung, die einen Schadenersatzanspruch ähnlich dem aus culpa in contrahendo oder positiver Forderungsverletzung auslösen könne; im Übrigen ergebe sich ein Kostenerstattungsanspruch auch, weil die Klägerin der unberechtigten Inanspruchnahme mit einer negativen Feststellungsantrag nach § 256 ZPO hätte entgegentreten können (Anmerkung: Die wiederum zu einem prozessualen Kostenerstattungsanspruch geführt hätte).
Rz. 256
Nach Ansicht des BGH kann sich ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch z.B. aus Vertrag, Verzug, positiver Vertragsverletzung, culpa in contrahendo, Geschäftsführung ohne Auftrag oder Delikt ergeben. Eine Anspruchsgrundlage für die Kostenerstattung betreffend die Abwehr unberechtigter Forderungen kann sich aus culpa in contrahendo, positiver Vertragsverletzung (§§ 280, 311 BGB) oder deliktischen Vorschriften (§§ 823, 826 BGB) ergeben oder auch aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB).
Rz. 257
Kostenerstattungsansprüche, die aus Pflichtverletzung aus Vertrag geltend gemacht werden, setzen voraus, dass der vermeintliche Anspruch im Rahmen einer vertraglichen bzw. vorvertraglichen Beziehung der Parteien geltend gemacht wurde. Beim Streit über die Frage, ob ein Darlehen oder eine Schenkung erfolgt sind, kann sich ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch dann ergeben, wenn die Rückforderung eines Darlehens als nachvertragliche Verletzung eines Schenkungsvertrags angesehen werden kann. Dazu wäre jedoch zu beurteilen, ob die Rückforderung tatsächlich unberechtigt war. Sofern ein Antragsgegner eine vermeintliche Forderung "schlichtweg erfindet", liegt keine Voraussetzung für eine vertragliche Anspruchsgrundlage vor.
Rz. 258
Nach Ansicht des BGH gehört die Konfrontation mit unberechtigten Ansprüchen zum allgemeinen Lebensrisiko, soweit nicht die Voraussetzungen einer speziellen Haftungsnorm vorliegen.
§ 823 Abs. 1 BGB erfordert einen Eingriff in die dort genannten Rechtsgüter und das Erleiden eines Vermögensschadens; die unberechtigte Geltendmachung einer Forderung ist keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
Rz. 259
Falls eine Forderung nachweislich ohne tatsächliche oder rechtliche Grundlage geltend gemacht wird, kann dies als Betrugsversuch und sittenwidrige vorsätzliche Schädigung anzusehen sein, die wiederum einen materiell-rechtlichen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bzw. § 826 BGB begründen kann.
§ 91 ZPO für den prozessualen Kostenerstattungsanspruch kann nicht analog auf materiell-rechtliche Kostenerstattungsansprüche angewendet werden. Der BGH hält es darüber hinaus für hinnehmbar, wenn die Kostenerstattung nach materiellem Recht im Gegensatz zu der nach Prozessrecht lückenhaft bleibe, es bestehe hier auch eine Regelungslücke, da das Haftungsrecht eben nicht an jeden Vermögensnachteil die Ersatzpflicht eines Dritten anknüpfe. Auch die Möglichkeit einer hypothetischen Feststellungsantrag und damit bei sofortigem Antrag entstandene Kosten über § 91 ZPO ersetzt zu erhalten, kann zu keinem anderen Ergebnis führen.
Im Übrigen sind Anwaltskosten materiell-rechtlich nur dann zu erstatten, wenn der Geschädigte die Heranziehung eines Anwalts für erforderlich halten durfte.
Rz. 260
Praxistipp
Sofern der Rechtsanwalt auf Seiten des Anspruchsgegners (z.B. wegen Unterhalt oder Zugewinnausgleichsansprüchen) tätig wird, hat er zunächst zu prüfen, ob sich eine materiell-rechtliche Kostenerstattungsgrundlage ergibt. Ist dies nicht der Fall, kann ihn möglicherweise eine Hinweispflicht dahin treffen, dass er seinen Auftraggeber (hier Anspruchsgegner) dahingehend beraten muss, dass er die kostengünstigste Variante zu wählen hat. Dies kann (muss aber nicht) möglicherweise der sofort erteilte Verfahrensauftrag sein. Es erscheint wenig sinnvoll, Mandanten, bei denen es an einer materiell-rechtlichen Kostenerstattungsgrundlage fehlt, da beispielsweise ins Blaue hinein Forderungen ihnen gegenüber geltend gemacht worden sind, zu raten, sofort einen negativen Fests...