a) Allgemeines
Rz. 210
Durch das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und kostenrechtlicher Vorschriften wurde § 15a RVG eingeführt und § 55 Abs. 5 RVG geändert. Beide Bestimmungen haben große Auswirkungen auf die Frage der Anrechnung einer Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren (sowohl beim "Wahlanwalt" als auch beim "VKH-Anwalt"). Sie sind am 5.8.2009 in Kraft getreten. § 15a RVG regelt in Abs. 1 und 2 das Verhältnis zwischen Anwalt und Auftraggeber; Abs. 3 regelt das Erstattungsverhältnis. Auf § 15a Abs. 2 wurde oben unter Rdn 206 eingegangen.
Rz. 211
§ 15a Anrechnung einer Gebühr
"(1) Sieht dieses Gesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vor, kann der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren."
(2) …
(3) Ein Dritter kann sich auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden.“
Rz. 212
Grund für die – lediglich klarstellenden – Regelungen in § 15a RVG und § 55 Abs. 5 RVG war die in der Praxis viel kritisierte Rechtsprechung des BGH, wonach eine Verfahrensgebühr von vornherein nur in gekürzter Höhe entstehe, wenn auf sie eine andere Gebühr wegen ihrer Entstehung angerechnet werden muss. Der unterlegene Prozessgegner habe sie deshalb auch nur in entsprechend verminderter Höhe zu erstatten. Diese Form der Auslegung der Anrechnungsvorschriften war durch den Gesetzgeber jedoch so nicht beabsichtigt, weshalb er zur Klarstellung § 15a RVG ins Leben rief.
Rz. 213
Nach § 15a Abs. 3 RVG kann sich ein Dritter auf die Anrechnung nur berufen,
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soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat; |
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wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder |
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beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden. |
Rz. 214
Zur Frage, ob ein Vollstreckungstitel i.S.d. § 15a RVG auch besteht, wenn ein Vergleich mit Zahlung eines Vergleichsbetrages "… zur Abgeltung aller Ansprüche …" abgeschlossen und eine vorgerichtliche Geschäftsgebühr als Nebenforderung mit eingeklagt worden war, hat der BGH entschieden:
Zitat
"Enthält ein Prozessvergleich keine ausdrückliche Regelung dazu, inwieweit die vom Kläger mit eingeklagte Geschäftsgebühr vom Gegner zu zahlen ist oder inwieweit eine solche Geschäftsgebühr in der vom Beklagten zu zahlenden Vergleichssumme enthalten sein soll, kommt eine Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren nicht in Betracht."
b) Anwendbarkeit des § 15a Abs. 1 u. 2 auch auf sog. "Altfälle"?
Rz. 215
Ab Inkrafttreten des § 15a RVG am 5.8.2009 wurde vielfach diskutiert, ob § 15a RVG unter Anwendung von § 60 Abs. 1 RVG, der für die Anwendung neuen Rechts auf den Zeitpunkt der unbedingten Auftragserteilung abstellt, lediglich für Fälle ab dem 5.8.2009 gilt, oder ob § 15a RVG auch auf sogenannte "Altfälle" vor dem 5.8.2013 anzuwenden ist.
Zwischenzeitlich entspricht es der herrschenden Meinung – nicht zuletzt aufgrund diverser Entscheidungen des BGH –, dass § 15a RVG auch auf sogenannte "Altfälle" anwendbar ist. Nach meiner Auffassung ist diese Rechtsprechung analog auf den zum 1.1.2021 eingeführten neuen Abs. 2 des § 15a RVG anzuwenden (der bis zum 31.12.2020 geltende Abs. 2 wurde Abs. 3).