1. Allgemeines
Rz. 5
Was unter dem Begriff "dieselbe Angelegenheit" in Familiensachen zu verstehen ist, definiert § 16 Nr. 4 RVG, der ausschließlich für Verbundverfahren zur Anwendung kommt, näher. Danach sind eine Scheidungssache oder ein Verfahren über die Aufhebung einer Lebenspartnerschaft und die Folgesachen als dieselbe Angelegenheit zu betrachten, mit der Folge, dass die Werte der einzelnen Gegenstände zu addieren und die Gebühren hieraus lediglich einmal gefordert werden dürfen, vgl. dazu § 15 Abs. 2 RVG. Mit Folgesachen sind solche gem. § 137 Abs. 2 u. 3 FamFG gemeint. Ein Verbundverfahren ist jedoch als solches jedoch nur im gerichtlichen Verfahren möglich. Dass ein Hauptsacheverfahren und ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verschiedene Angelegenheiten darstellen, regelt § 17 Nr. 4b RVG. Bezogen auf eine Zurückverweisung oder Fortführung einer Folgesache als selbstständige Familiensache finden wir Hinweise, wann von einer neuen gebührenrechtlichen Angelegenheit auszugehen ist, in § 21 Abs. 2 u. 3 RVG. Ansonsten "schweigt" das RVG zur Abgrenzung der gebührenrechtlichen Angelegenheit explizit bezogen auf Familiensachen weitgehend. Da aufgrund der Degressivität der Gebührentabelle die richtige Einordnung wirtschaftliche Auswirkungen hat, soll die Frage im Nachstehenden näher beleuchtet werden.
Rz. 6
Wird ein Anwalt im Hinblick auf eine später beabsichtigte Scheidung beauftragt, zunächst außergerichtlich tätig zu werden (z.B. wg. Unterhalt, Umgangsrecht, Zugewinnausgleich), ist in der Praxis umstritten,
▪ |
ob § 16 Nr. 4 RVG auch für die vorgerichtliche Tätigkeit zur Anwendung kommt mit der Folge, dass nur eine gebührenrechtliche Angelegenheit vorliegt mit entsprechender Addition der Gegenstandswerte |
oder
▪ |
jeweils verschiedene Angelegenheiten bestehen, die dann gesondert abgerechnet werden können |
▪ |
oder |
▪ |
§ 16 Nr. 4 RVG zwar nicht zur Anwendung kommt, gleichwohl dieselbe Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG vorliegt. |
Rz. 7
Wird der RA beauftragt, Ansprüche in einem Verfahren geltend zu machen, liegt eine Angelegenheit vor. Wird er hingegen beauftragt, diese in getrennten Verfahren geltend zu machen, liegen mehrere Angelegenheiten vor. Entscheidend ist hierbei nicht die Verfahrensweise des RA.
Hat er den Auftrag, mehrere Ansprüche in einem Verfahren geltend zu machen, so kann er auch nicht durch die Geltendmachung der einzelnen Ansprüche in getrennten Angelegenheiten mehrere Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne hieraus kreieren. Der Mandant kann frei entscheiden, in welcher Weise verfahren werden soll. Der RA hat allerdings den Mandanten über die gebührenrechtlichen Konsequenzen zu belehren.
Rz. 8
Nach dem BGH ist es einem Rechtsanwalt
Zitat
"… nicht erlaubt, einseitige und ohne hinreichenden Sachgrund anstehende Verfahren eines Auftraggebers zu vereinzeln, statt sie nach ihrer objektiven Zusammengehörigkeit als eine Angelegenheit zu behandeln, bei der die Gegenstandswerte zusammenzurechnen sind. Ist sowohl eine getrennte als auch eine gehäufte Verfahrensführung ernsthaft in Betracht zu ziehen, muss der Rechtsanwalt das Für und Wider des Vorgehens unter Einbeziehung der Kostenfolge dem Auftraggeber darlegen und seine Entscheidung herbeiführen."
Auch das OLG Hamburg sah schon 2003 den Anwalt in der Pflicht:
Zitat
"Aufgrund der besonderen Umstände des einzelnen Falls kann der Anwalt verpflichtet sein, seinen Mandanten über weitaus höhere Gesamtkosten von Einzelklagen gegenüber einer Sammelklage aufzuklären und kann aufgrund schuldhafter Pflichtverletzung des Anwaltvertrages einem Schadensersatzanspruch seines Mandanten ausgesetzt sein."
Rz. 9
Ebenso ist zu berücksichtigen, dass in einem eventuellen gerichtlichen Verfahren eine Kostenerstattung bei getrennter Geltendmachung Probleme bereiten kann. Die Tendenz in der Rechtsprechung geht dahin, dass die Kosten dann erstattungsfähig sind, wenn vertretbare Gründe für die getrennte Geltendmachung vorliegen.
Rz. 10
Keinesfalls darf bei der Beantwortung der Frage nach der Anzahl der gebührenrechtlichen Angelegenheiten die Rechtsprechung zur Beratungshilfe auch für Mandate herangezogen werden, die regulär abgerechnet werden. Denn im Gegensatz zur Beratungshilfe kann bei regulärer Abrechnung durch die Addition der Gegenstandswerte im Falle derselben Angelegenheit eine Gebührenerhöhung erreicht werden, vgl. § 22 Abs. 1 RVG. Eine Wertaddition kann bei Beratungshilfemandate nicht erfolgen, da Beratungshilfemandate nach Fest- und nicht nach Wertgebühren abgerechnet werden. Zur Frage der Angelegenheit bei Beratungshilfe siehe eingehend § 7 Rdn 76 ff. in diesem Werk.
Rz. 11
Die Abgrenzung der Angelegenheiten i.S.v. § 15 RVG, die mehrere Auftragsgegenstände umfassen können, ist unter Berücksichtigung der jeweiligen Lebensverhältnisse im Einzelfall ebenso wie die Feststellung des Auftragsinhalts grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Dabei ist insbesondere der Inhalt des erteilten Auftrags maßgebend.
Rz. 12
Zur Klärung der Frage, ob gebührenrechtlich ...