Rz. 80
Die Schwierigkeiten bei der Beseitigung der Nacherbenbindung durch Vereinbarungen zwischen Vor- und Nacherben über den Gesamtnachlass begründen den Wunsch zumindest einzelne Gegenstände nacherbschaftsfrei auf den Vorerben übertragen zu können. Vorbild für diese Idee, ist die Möglichkeit durch Zusammenwirken von Vor- und Nacherben Nachlassgegenstände nacherbschaftsfrei auf einen Dritten zu übertragen.
Rz. 81
Dritter kann auch ein Nacherbe sein. Nach den allgemeinen Grundsätzen für Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte des Vorerben kann der Nacherbe nacherbschaftsfrei Gegenstände aus dem Nachlass bereits vor Eintritt des Nacherbfalls erhalten. Der Wille des Nacherben zum Erwerb des Gegenstandes umfasst ggf. eine von ihm zu erklärende Zustimmung. Häufig verpflichten sich die Nacherben zu Gegenleistungen, wie z.B. der Übertragung ihres Anwartschaftsrechts, Zustimmungen zu anderen Verfügungen des Vorerben zu erteilen oder klassisch, zur Zahlung eines Geldbetrages. Zutreffender Weise ist für die erbrachte Gegenleistung der Grundsatz der dinglichen Surrogation zu beachten, § 2111 Abs. 1 S. 1 Alt. 3 BGB. Es steht den Beteiligten jedoch frei, eine Übertragung unentgeltlich und ohne Gegenleistung zu vereinbaren. Bei einer Mehrheit von Nacherben ist zu betonen: Jeder Nacherbe hat seine eigene Rechtsposition. Es werden daher weitere Zustimmungserklärungen erforderlich. Möchte der Vorerbe einen Gegenstand auf sämtliche Nacherben übertragen, müssen diese sich in einer Bruchteilsgemeinschaft oder GbR zusammenschließen.
Rz. 82
Gesetzlich nicht geregelt ist die Frage, ob ein sog. Eigenerwerb des Vorerben möglich ist. Bei einem Eigenerwerb des Vorerben bleibt zwar die Nacherbfolge an sich bestehen, einzelne Nachlassgegenstände können jedoch in das nicht gebundene freie Vermögen des Vorerben überführt werden. Hält man dies mit der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur für möglich, bleibt zu klären, ob der Eigenerwerb eine praktisch ansprechendere Lösung bietet, dem Vorerben eine unbeschränkte Eigentümerstellung zu verschaffen, als die Gestaltungsmöglichkeiten, die den Gesamtnachlass betreffen.
a) Der Eigenerwerb des Vorerben
Rz. 83
Einigkeit in Rechtsprechung und Literatur besteht weitestgehend im Ergebnis: Auch der Vorerbe kann nacherbschaftsfrei Gegenstände aus dem Nachlass erhalten. Es bedarf dabei stets der Mitwirkung aller Nacherben. Da es für die Übertragung an Dritte keiner Zustimmung der Ersatznacherben bedarf, wird eine solche auch bei der Übertragung von einzelnen Nachlassgegenständen auf den Vorerben nicht für erforderlich gehalten. Das Recht der Ersatznacherben darf jedoch nicht vollständig ausgehöhlt werden, weshalb einer Übertragung der Einzelgegenstände Grenzen gesetzt werden müssen.
Rz. 84
Die Frage nach der dogmatischen Grundlage für dieses Ergebnis hat in der Literatur jedoch einen Meinungsstreit entfacht. In der Literatur und jüngeren Rechtsprechung wird – trotz zuzugestehender Unterschiede – in Anlehnung an das Testamentsvollstreckungs- und Insolvenzrecht zu Recht eine Freigabeerklärung der Nacherben für erforderlich gehalten. Mit diesem Erfordernis sympathisierte jüngst auch das OLG Hamm. Für die Praxis ist derzeit daher von dem Erfordernis einer Freigabeerklärung auszugehen, welche in Anlehnung an Keim und die Entscheidung des OLG Hamm folgende Voraussetzungen erfüllen muss:
Rz. 85
Die Freigabeerklärung knüpft an die Auseinandersetzung der Mitvorerbengemeinschaft an und löst den im Rahmen der Auseinandersetzung erhaltenen Gegenstand eines Mitvorerben aus dem nacherbschaftlich gebundenen Vermögen des Vorerben und überführt ihn in sein Eigenvermögen. Der Vorerbe, der den Eigenerwerb anstrebt, vereinbart mit seinen Nacherben zusätzlich das Ausscheiden des Nachlassgegenstandes aus der Nacherbenbindung.
Rz. 86
Notwendig ist ein Freigabeverlangen des Vorerben in der Auseinandersetzungsvereinbarung: Zwar erklärt der Nacherbe die Freigabe einseitig. Nach zutreffender Ansicht kann ein Nachlassgegenstand dem Vorerben aber nicht aufgezwängt werden, weshalb es eines Freigabeverlangens des Vorerben bedarf.
Rz. 87
Für eine wirksame Freigabe ist die Mitwirkung Dritter notwendig. Alle Mitnacherben, weitere Nacherben und bedingt eingesetzte Nacherben müssen den Gegenstand aus der Nacherbenbindu...