Rz. 61
Zur Entschärfung von Konflikten sind Vor- und Nacherben häufig an einer Auseinandersetzung der Mitvorerbengemeinschaft vor Eintritt des Nacherbfalls interessiert. Vor- und Nacherben möchten Nachlassgegenstände bereits endgültig in ihr Eigenvermögen überführen und sich von den zuvor aufgezeigten Beschränkungen der Vor- und Nacherbschaft befreien. Sind Nacherben die Abkömmlinge des Vorerben, kann dies nicht zuletzt dem Familienfrieden dienlich sein. Die Vorerbengemeinschaft kann dabei jederzeit auseinandergesetzt werden. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit dadurch eine nacherbschaftsfreie Eigentumsübertragung erfolgt.
I. Auseinandersetzung der Mitvorerbengemeinschaft
1. Möglichkeit der Auseinandersetzung
Rz. 62
Mehrere Vorerben bilden eine Erbengemeinschaft. Diese kann sich jederzeit nach § 2042 BGB auseinandersetzen (siehe hierzu auch § 8 Rdn 13 ff.).
Rz. 63
Der Mitwirkung von Dritten, wie Nacherben, weiteren Nacherben oder Ersatznacherben, bedarf es zur schuldrechtlichen Vereinbarung des Auseinandersetzungsvertrages nicht. Der Vorerbe ist nicht daran gehindert, die Auseinandersetzung mittels Erbteilsübertragung zu betreiben. Verfügungen über den gesamten Erbteil unterliegen keinen nacherbrechtlichen Beschränkungen.
Rz. 64
Beim Vollzug der vorgesehenen Einzelverfügungen kann jedoch die Mitwirkung von Nacherben und Nachnacherben erforderlich sein. Die Mitwirkungserfordernisse der Nacherben ergeben sich aus den Verfügungsbeschränkungen des Vorerben nach §§ 2113 bis 2115 BGB. Die Verfügungsbeschränkungen gelten auch für den Vollzug der Auseinandersetzung zwischen mehreren Mitvorerben getroffenen Verfügungen. Dies schließt auch die Abschichtung ein. Der Mitwirkung von Ersatznacherben bedarf es für einen wirksamen Vollzug hingegen nicht. Ersatznacherben stehen vor Eintritt des Ersatznacherbfalls die Kontroll-, Sicherungs- und Mitwirkungsrechte nicht zu. Eine Zustimmung zu Rechtsgeschäften des Vorerben ist daher nicht erforderlich.
Rz. 65
Ist der Vorerbe in seiner Verfügungsfreiheit beschränkt, muss er für eine den Nacherbfall überdauernde, wirksame Verfügung die Zustimmung sämtlicher Nacherben einholen. Da ein Recht des Nacherben, die Auseinandersetzung zu verhindern, nicht besteht, wird eine mit der Verfügungsbeschränkung korrespondierende Zustimmungspflicht angenommen. Nacherben sind verpflichtet die Auseinandersetzung zu fördern, sofern der Auseinandersetzungsplan der Mitvorerben der ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung entspricht. Der Nacherbe ist dadurch nicht schutzlos. Gewahrt werden seine Rechte bei der Auseinandersetzung der Vorerbengemeinschaft durch die nach § 2111 BGB eintretende Surrogation.
2. Wirkung der Auseinandersetzung
Rz. 66
Die Erbauseinandersetzung zwischen den Vorerben stellt einen Erwerb mit Mitteln der Erbschaft dar, sofern die Mitvorerben bei der Auseinandersetzung unter Mitwirkung der Nacherben nicht etwas anderes vereinbart haben.
Rz. 67
Bei der Beantwortung der Frage, was unter den gesetzlichen Tatbestand des "Erwerbs mit Mitteln der Erbschaft" gem. § 2111 BGB fällt, ist ein wirtschaftlicher Maßstab anzulegen. Zu den "Mitteln der Erbschaft" zählen auch die Rechte, die der Vorerbe aufgrund seiner Beteiligung an der zwischen ihm und seinen Miterben bestehenden Gemeinschaft zur gesamten Hand mit Bezug auf die einzelnen Gegenstände des Nachlasses hat. Erhält der Mitvorerbe durch den Vollzug des Auseinandersetzungsvertrages daher Gegenstände aus der Erbschaft, fallen diese in den Nachlass. Aufgrund der Surrogation unterliegt der erworbene Gegenstand weiterhin der Nacherbenbindung.
Rz. 68
Vorerben sind daher zwar bereits vor Eintritt des Nacherbfalls zur jederzeitigen Auseinandersetzung befugt. Die Nacherbfolge bleibt von den Verfügungen ohne anderweitige Vereinbarung der Vorerben mit den Nacherben unberührt.