Rz. 4

Das Vergaberecht wird allgemein definiert als die Gesamtheit der Regeln und Vorschriften, die ein Träger öffentlicher Verwaltung bei der Beschaffung von sachlichen Mitteln und Leistungen, die er zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben benötigt, beachten muss.[2] Ein privater Auftraggeber kann in der Regel frei entscheiden, an wen und unter welchen Voraussetzungen er Aufträge erteilt bzw. von wem er Leistungen beschafft. Demgegenüber sollen die staatlichen Stellen im Interesse der Allgemeinheit und unter Berücksichtigung von Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit handeln. Die öffentliche Hand vergibt eine Vielzahl von Aufträgen mit einem erheblichen Auftragsvolumen.[3] Das Vergaberecht diente früher im Wesentlichen dazu, objektive Kriterien für die Erteilung von Aufträgen zu entwickeln und insbesondere eine unsachgemäße Verwendung von staatlichen Mitteln zu verhindern. Der Staat sollte Angebote für Aufträge einholen und möglichst das preiswerteste Angebot annehmen.

 

Rz. 5

Durch die in den Jahren 1988 bis 1993 erlassenen Europäischen Richtlinien für Aufträge oberhalb einer gewissen Auftragssumme, dem sog. Schwellenwert, kam es zu einer Änderung im bisherigen Verfahren zu Vergaberechtsstreitigkeiten. Insbesondere nach der Rechtsmittelrichtlinie vom 21.12.1989, Richtlinie 89/665/EWG, und nach der Rechtsmittelrichtlinie vom 25.2.1992, Richtlinie 92/13/EWG, hatten die Mitgliedstaaten ein formelles Nachprüfungsverfahren für die Einhaltung des Verfahrens der Vergabe öffentlicher Aufträge einzurichten. Zum 1.1.1999 trat schließlich das Vergaberechtsänderungsgesetz in Kraft. Mit diesem Gesetz wurden mit den §§ 97 bis 129 GWB neue Vorschriften zur Vergabe öffentlicher Aufträge in das GWB aufgenommen. In § 127 GWB war darüber hinaus eine Ermächtigung zum Erlass einer neuen Vergabeverordnung enthalten. Diese Vergabeverordnung (VgV) ist am 1.2.2001 in Kraft getreten. Durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.2009 und die Änderung der Vergabeverordnung vom 7.6.2010 wurde das Vergaberecht erneut modifiziert. Zuletzt erfuhr das Vergaberecht im April 2016 eine grundlegende Überarbeitung. Diese neuerliche Reform folgte auf den Erlass neuer Vergaberichtlinien in 2014 und verfolgt verschiedene Ziele. Genannt werden u.a. die Modernisierung und die Vereinfachung des Vergaberechts sowie die stärkere Berücksichtigung von Politikzielen.[4] Während das Vergabeverfahren an sich im Rahmen dieser neuerlichen Reform einige Veränderungen erfuhr, wurde das Vergabeprozessrecht, abgesehen von einer Verschiebung des Normenkomplexes aus den §§ 102 ff. GWB in die §§ 155 ff. GWB, kaum inhaltlich berührt. Zu erwähnen ist hier, dass eine Anpassung an den Umstand stattgefunden hat, dass jetzt auch die Konzessionsvergabe dem Nachprüfungsverfahren unterliegt.[5]

 

Rz. 6

Infolge der gesetzlichen Regelungen seit Ende der 90er Jahre kann insbesondere der Bieter bei Vergabeverfahren oberhalb der Schwellenwerte durch das Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern und ggf. die sofortige Beschwerde vor den Oberlandesgerichten noch erreichen, den Zuschlag an einen eigentlich favorisierten Bieter zu verhindern. Der Bieter kann dieses Ziel jedoch nur erreichen, wenn der Zuschlag an einen anderen Bieter noch nicht erteilt wurde. Nach § 168 Abs. 2 S. 1 GWB kann ein bereits erteilter Zuschlag nicht aufgehoben werden. Sofern die für ein Nachprüfungsverfahren erforderlichen Schwellenwerte erreicht sind, ist ferner § 134 GWB zu beachten. Der Auftraggeber, der im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens ein öffentlicher Auftraggeber sein muss, ist verpflichtet, 15 Kalendertage vor Vertragsabschluss die übrigen Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Bieters, der den Zuschlag erhält, und über den Grund der Nichtberücksichtigung zu informieren. Seit der Einführung der §§ 101a und b GWB, Vorgängervorschriften der §§ 134, 135 GWB, muss auch der früheste Zeitpunkt der Zuschlagserteilung ausdrücklich genannt werden. Wird die Information des Auftraggebers per Fax oder auf elektronischem Weg versendet (was im oberschwelligen Bereich immer mehr zur Regel wird), verkürzt sich die Frist auf 10 Kalendertage. Fristbeginn ist der Tag nach der Absendung der Information durch den Auftraggeber. Nach Eingang einer Information nach § 134 GWB muss der Bieter vor Ablauf der 15- oder 10-tägigen Frist einen Antrag auf Nachprüfung bei der Vergabekammer stellen, um den Zuschlag an einen Mitbieter zu verhindern. Nach § 169 Abs. 1 GWB darf der Auftraggeber nach Zustellung eines Antrags auf Nachprüfung den Auftrag nicht mehr vergeben. Verstößt der Auftraggeber gegen § 134 GWB (es werden zum Beispiel die übrigen Bieter nicht unterrichtet), ist ein dennoch geschlossener Vertrag mit einem Bieter unwirksam, wenn dies in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt wird, § 135 GWB. Dies setzt voraus, dass der Bieter, der den Zuschlag nicht erhalten hat, innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes gegen § 134 GWB, jedoch nicht später als 6 Monate na...

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