Rz. 108

Die Sichtwerbung politischer Parteien im Wahlkampf unter Aufstellen von Informationsständen im öffentlichen Verkehrsraum ist straßenrechtliche Sondernutzung und bedarf der Erlaubnis nach dem landesrechtlichen Straßengesetz, vgl. z.B. § 18 SStrG; beachte auch die dabei tangierten Art. 5, 21 GG.[215]

 

Rz. 109

Mit Blick auf die Bedeutung von Wahlen in einem demokratischen Staat (Art. 28 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 GG) und die Bedeutung der Parteien für solche Wahlen (Art. 21 GG, §§ 1 ff. ParteienG) müssen Behinderungen der Straßenbenutzung durch Wahlsichtwerbung hingenommen werden.[216] Deshalb tritt in den Kernzeiten des Wahlkampfes (regelmäßig die letzten vier bis sechs Wochen vor dem Wahltermin) bei der Erteilung der Sondernutzungserlaubnis dann eine Ermessensreduzierung auf Null ein, so dass in diesem Fall ein – wenn auch nicht unbegrenzter – Anspruch auf Erteilung der Sondernutzungserlaubnis für Wahlsichtwerbung der politischen Parteien besteht.[217]

 

Rz. 110

Die Gemeinden haben danach während der "heißen Wahlkampfphase" sicherzustellen, dass den Parteien, die sich an den Wahlen beteiligen, in angemessenem Umfang die Möglichkeit zur Selbstdarstellung durch Wahlsichtwerbung eröffnet ist. Dabei brauchen sie die diesbezüglichen Wünsche der Parteien nicht unbeschränkt zu erfüllen, sondern können in den Grenzen ihres durch das verfassungsrechtliche Gebot, ausreichende Flächen zur Verfügung zu stellen, beschränkten Ermessens entscheiden, auf welche Weise sie diesem Gebot Rechnung tragen.[218]

 

Rz. 111

Die zur Erlaubnis zuständige Behörde hat dann in diesem Rahmen auch eine Entscheidung darüber zu treffen, in welcher Weise dem verfassungsrechtlichen Gebot auf Einräumung von Stellplätzen für Werbetafeln Rechnung zu tragen ist. Es muss dabei immer sichergestellt sein, dass die Parteien – unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Bedeutung nach § 5 Abs. 1 S. 2 PartG – angemessene und wirksame Wahlwerbemöglichkeiten haben. Die wirksame Wahlpropaganda wird ermöglicht nach dem Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit auch für die kleinste Partei.[219] Dieses an der Bedeutung der Wahlen orientierte Interesse ist in Einklang zu bringen mit grundrechtlich geschützten Belangen anderer Straßenbenutzer.

 

Rz. 112

Im Rahmen der behördlichen Entscheidung sind demnach auch Aspekte zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit, aber auch der Wahrung des Ortsbildes, der Vermeidung von Verschmutzungen des Straßenraums und der Gewährleistung von Chancengleichheit zulässig. Denkbar ist auch, einen besonders schützenwerten historischen Stadtkern von einer Wahlsichtwerbung gänzlich frei zu halten.[220] Es ist auch nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Vergabe von Plakatflächen für politische Parteien vor Wahlen kontingentiert und die Aufstellung von Wahlplakaten auf öffentlichen Straßen auf bestimmte Standorte beschränkt wird.[221]

 

Rz. 113

Ließe man eine generelle Verpflichtung zur Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für großflächige Wahlplakattafeln zu, wäre das Stadtbild in "Superwahljahren" mit zum Teil nacheinander folgenden Europa-, Bundestags-, Landtags- und Kommunal-, Bürgermeister- und Landratswahlen über viele Monate hinweg einem "Dauerwahlkampf im Großformat" ausgesetzt.[222] Dabei ist auch zu beachten, dass nach Zulassung der von einer Partei begehrten großflächigen Wahlplakate auch den anderen politischen Parteien aus Gründen der Gleichbehandlung das Aufstellen von großflächigen Wahlplakaten gleichfalls zu gestatten wäre.

 

Rz. 114

In diesem Rahmen sind auch gemeindliche Grundsatzbeschlüsse und Plakatierungsregelungen als gerade auch für alle politischen Parteien gleichermaßen geltende Regelungen zulässig. Gerade durch diese Regelungen ist gewährleistet, dass das behördliche Ermessen entsprechend dem Gleichbehandlungsgrundsatz ausgeübt wird.[223]

 

Rz. 115

Das behördliche Ermessen bei der Entscheidung über die straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis zum Aufstellen von Wahlplakaten ist damit zwar einerseits in erheblichem Umfang eingeschränkt. Der Anspruch ist aber keineswegs schrankenlos. Außerhalb der Wahlkampfzeiten besteht kein Anspruch auf Erlaubniserteilung.[224]

[215] Friehe, Straßenrechtliche Wahlkampflenkung?, NVwZ 2016, 887; vgl. i.Ü. BVerfG NJW 1977, 671; BVerwG NJW 1975, 1289; 1975, 1289; 1995, 1293; DÖV 1978, 889; NZV 1995, 85 = NVwZ-RR 1995, 129 = zfs 1995, 159; OVG Saarland zfs 1994, 271; DÖV 1998, 1013 = NVwZ-RR 1999, 218; OVG SH NVwZ 1992, 70.
[216] BVerwG DÖV 1978, 889, 890.
[217] Vgl. schon BVerwGE 47, 280, 283 f. = NJW 1975, 1289; VG München BayVBl 2007, 732 m.w.N; OVG Saarland DÖV 1998, 1013 = NVwZ-RR 1999, 218; VG Frankfurt NVwZ-RR 1998, 88, 89; VG Saarland zfs 2001, 339.
[218] OVG des Saarlandes, Beschl. v. 2.6.2009 – 1 B 347/09, zfs 2009, 477.
[219] BVerfGE 24, 300, 354; BVerwGE 47, 280, 285; VG München BayVBl 2007, 732, 734.
[220] BVerwGE 47, 280, 284.
[221] VG München BayVBl 2007, 732.
[222] So zutreffend: VG Saarland v. 16.4.2009 – 10 L 248/09, Saarl. Kommunalzeitschrift 2009, 114.
[223] Vgl. auch VG München BayVB...

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