Rz. 111

Die erfolgreiche Kündigungsschutzklage endet mit der Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Da sich ein Kündigungsschutzprozess geraume Zeit hinziehen kann, droht auch bei erfolgreicher Klage eine "Entfremdung" des Arbeitnehmers von seinem Arbeitsplatz. Vor diesem Hintergrund erlangen der allgemeine sowie der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch Bedeutung.

 

Rz. 112

Mit seiner Grundsatzentscheidung v. 27.2.1985 hat der Große Senat des BAG (DB 1985, 551, 2197 = NZA 1985, 702) den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt. Danach muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zwar nach Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung nach deren Zugang grds. nicht weiterbeschäftigen. Denn bis zu einem der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteil begründet grds. die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsschutzprozesses das schutzwerte Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers. Wenn aber das Arbeits- oder Landesarbeitsgericht durch Urteil die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt hat, besteht regelmäßig ein materieller Weiterbeschäftigungsanspruch. Schon vor einem solchen Urteil im Kündigungsschutzprozess kann der Arbeitnehmer Weiterbeschäftigung verlangen, wenn die Kündigung offensichtlich unwirksam ist oder ein besonderes Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers besteht. Offensichtlich unwirksam ist die Kündigung, wenn ihre Unwirksamkeit ohne jeden Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegt. Unzweifelhaft unwirksam ist die Kündigung, wenn ihr unstreitig keine Betriebsratsanhörung vorausgegangen ist oder die nach § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 MuSchG oder § 85 SGB IX erforderliche behördliche Zustimmung fehlt. Ist erst eine Würdigung der Kündigungsgründe oder gar eine Beweisaufnahme notwendig, ist die Kündigung nicht offensichtlich unwirksam.

Wird der Kündigungsschutzklage stattgegeben, kann der Arbeitgeber den Weiterbeschäftigungsanspruch abwehren, wenn er zusätzliche, über die Ungewissheit des Prozessausgangs hinausgehende Umstände vorträgt, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes schutzwertes Interesse für ihn ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen. In Betracht kommen Gründe, die den Arbeitgeber auch im bestehenden Arbeitsverhältnis zur Suspendierung berechtigen würden (z.B. Konkurrenztätigkeit, Gefahr des Verrats von Geschäftsgeheimnissen).

 

Rz. 113

Diese Rspr. des BAG wird zwar im Schrifttum nach wie vor kritisiert (vgl. nur v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG § 4 Rn 153). In der gerichtlichen Praxis hat sie sich jedoch durchgesetzt.

 

Rz. 114

Spricht der Arbeitgeber, nachdem er zur Weiterbeschäftigung verurteilt worden ist, eine erneute Kündigung aus, die auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird (Folgekündigung), erlischt der ausgeurteilte Weiterbeschäftigungsanspruch, denn es tritt wiederum der Zustand der Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ein, der vor Verkündung des Urteiles über die erste Kündigung bestanden hat (BAG v. 19.12.1985, DB 1986, 1679 = NZA 1986, 566). Da der Weiterbeschäftigungsanspruch tituliert ist, muss sich der Arbeitgeber ggf. mit einer Zwangsvollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) wehren. Der Weiterbeschäftigungsanspruch erlischt nicht, wenn die "Folgekündigung" offensichtlich unwirksam ist oder auf dieselben Gründe gestützt wird, die das ArbG bereits verworfen hat ("Trotzkündigung"). Eine auf denselben Lebenssachverhalt gestützte "Trotzkündigung" liegt allerdings dann nicht vor, wenn im ersten Urteil die Kündigungsgründe gar nicht überprüft worden sind, weil ein formaler Mangel wie bspw. die fehlende Anhörung des Betriebsrats zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung geführt hatte (vgl. v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 4 Rn 163).

 

Rz. 115

Die zuvor dargestellten Grundsätze des Beschlusses des Großen Senats des BAG über den Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers gelten entsprechend für andere Streitigkeiten um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, z.B. bei einem Streit um die Wirksamkeit einer Befristung oder auflösenden Bedingung des Arbeitsverhältnisses (BAG v. 13.6.1985, DB 1986, 1827 = NZA 1986, 562; BAG v. 26.6.1996, DB 1996, 2289 = NZA 1997, 200).

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