Peter Houben, Dr. Stephan Karlsfeld
Rz. 15
Ist die dreiwöchige Klagefrist des § 4 KSchG nicht eingehalten, kann unter den Voraussetzungen des § 5 KSchG die Kündigungsschutzklage auf Antrag vom ArbG nachträglich zugelassen werden. Über die nachträgliche Zulassung entscheidet das ArbG nach der seit dem 1.4.2008 geltenden Fassung des § 5 KSchG nicht mehr durch gesonderten Beschluss, sondern regelmäßig i.R.d. Urteils über die Kündigung (Bader, NZA 2008, 620). Nur ausnahmsweise kann ein Zwischenurteil ergehen. Gegen die Zurückweisung des Antrags auf nachträgliche Zulassung ist in jedem Fall die Berufung gegeben. Aufgrund der Neuregelung des § 5 Abs. 4 KSchG ist nunmehr der Instanzenzug zum BAG eröffnet.
Die nachträgliche Zulassung (s. Muster unten Rdn 29) erfordert
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einen Zulassungsgrund und |
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einen form- und fristgerechten Antrag nebst Glaubhaftmachung der die Zulassung begründenden Tatsachen. |
a) Zulassungsgrund
Rz. 16
Die Zulassung einer verspäteten Klage sieht § 5 Abs. 1 KSchG nur für den Fall vor, dass der Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben (BAG v. 22.3.2012, NZA 2012, 1320). Gleiches gilt, wenn eine Frau von ihrer Schwangerschaft aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG Kenntnis erlangt hat. Es gilt ein strenger, subjektiv-individuell ausgerichteter Maßstab. Bei der Prüfung, ob den Arbeitnehmer an der Versäumung der Drei-Wochen-Frist ein Verschulden (dazu zählt auch leichte Fahrlässigkeit) trifft, sind die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers in der konkreten Situation maßgebend (LAG Bremen v. 30.6.2005, NZA-RR 2005, 633).
Rz. 17
Die folgenden typischen Beispiele für die verspätete Klageeinreichung mögen als Orientierung bei der Einschätzung dienen, ob der Zulassungsantrag Erfolg haben kann.
Rz. 18
Fehlende Kenntnis der dreiwöchigen Klagefrist
Die Berufung darauf, nicht gewusst zu haben, dass eine Klagefrist von drei Wochen seit Zugang der schriftlichen Kündigung einzuhalten ist, wird regelmäßig nicht zur nachträglichen Zulassung der Klage führen. Es ist allgemein anerkannt, dass es zulasten des Arbeitnehmers geht, wenn er von dieser Grundvoraussetzung zur Wahrnehmung seiner Arbeitnehmerrechte nichts weiß oder er sich nach Erhalt einer Kündigung auch nicht umgehend danach erkundigt, wie er sich gegen die Kündigung wehren kann (LAG Schleswig-Holstein v. 28.4.2005 – 2 Ta 105/05, juris). Für ausländische Arbeitnehmer gilt in diesem Punkt nichts anderes. Den Arbeitgeber trifft keine Hinweispflicht bezogen auf die Klagefrist.
Ebenso wenig unverschuldet ist die Verspätung der Klage, wenn sie dadurch ausgelöst wurde, dass der Arbeitnehmer sich über die Berechnung der Frist im Irrtum befunden hat, wenn er z.B. gemeint hat, die Aufgabe der Klage zur Post binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung wahre die Frist oder diese werde gar erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Lauf gesetzt (APS/Hesse, § 5 KSchG Rn 37).
Rz. 19
Fehlende Sprachkenntnis
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die fehlende Sprachkenntnis dem Zugang der Kündigungserklärung rechtlich nicht im Wege steht (LAG Köln v. 24.3.1988 – 8 Ta 46/88, NJW 1988, 1870). Ob die fehlenden Sprachkenntnisse eine nachträgliche Klagezulassung begründen können, lässt sich nicht generell beantworten, hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. LAG Hamm v. 24.3.1988, LAGE § 5 KSchG 1969 Nr. 32). Jedenfalls ist der sprachunkundige Arbeitnehmer gehalten, sich alsbald Kenntnis vom Inhalt des Schreibens zu verschaffen. Bemüht er sich nicht in angemessener Weise um eine Übersetzung, kann die Klage nicht nachträglich zugelassen werden.
Rz. 20
Falsche Auskunft und Vergleichsverhandlungen
Erkundigt sich der Arbeitnehmer danach, was er gegen eine Kündigung unternehmen kann und erhält er eine unzutreffende, zur verspäteten Klageeinreichung führende Auskunft, kommt eine nachträgliche Zulassung der Klage nur in Betracht, wenn sich der Arbeitnehmer bei einer an sich zuverlässigen und geeigneten Stelle informiert hat, z.B. bei einem Rechtsanwalt, bei einem Gewerkschaftssekretär oder auch bei der Rechtsantragstelle des ArbG. Als nicht ausreichend für eine nachträgliche Klagezulassung wird es angesehen, wenn die falsche Auskunft von der Arbeitsagentur (LAG Düsseldorf v. 25.4.1991 – 1 Ta 97/91, NZA 1992, 44, L), vom Betriebsrat, von Arbeitskollegen – auch gewerkschaftlichen Vertrauensleuten und Mitarbeitern der Personalabteilung – oder von untergeordneten Mitarbeitern des ArbG eingeholt wird.
Schwebende Vergleichsverhandlungen rechtfertigen eine nachträgliche Klagezulassung grds. nicht. Etwas anderes gilt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer arglistig von der Klageerhebung abhält.
Rz. 21
Abwesenheit aufgrund von Krankheit, Urlaub oder aus sonstigen Gründen
Die Kündigungserklärung kann auch während der Krankheits- oder Urlaubsabwesenheit des Arbeitnehmers, aber auch bei sonstiger Ortsabw...