Rz. 28
Im bestehenden Arbeitsverhältnis hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung (s. dazu § 21 Rdn 819§ 21 Rdn 819). Dieser Beschäftigungsanspruch besteht grds. auch nach dem Ausspruch der Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fort (BAG v. 26.5.1977 – 2 AZR 632/76, DB 1977, 2099 = BB 1977, 1504; LAG Hessen v. 20.3.2013 – 18 SaGa 175/13, juris). Eine Klausel in einem Formulararbeitsvertrag, die den Arbeitgeber ohne weitere Voraussetzungen berechtigt, den Arbeitnehmer unter Fortzahlung der Vergütung freizustellen, ist unwirksam (Hessisches LAG v. 20.3.2013 – 18 SaGa 175/13, juris). Ein Verfügungsanspruch ist ausnahmsweise dann abzulehnen, wenn dem Arbeitgeber ein besonderes Interesse an der einseitigen Freistellung des Arbeitnehmers zukommt. In einem solchen Fall hat eine Interessenabwägung zwischen dem Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers und dem Freistellungsinteresse des Arbeitgebers zu erfolgen (vgl. ArbG Leipzig v. 8.8.1996 – 18 Ga 37/96, BB 1997, 366). Ein besonderes Interesse an der Freistellung des Arbeitnehmers liegt z.B. nach dem Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung (Reinhard/Kliemt, NZA 2005, 545, 547), bei einem Wechsel des Arbeitnehmers nach dem Auslaufen der Kündigungsfrist zu einem Konkurrenzunternehmen vor (LAG Hamm v. 3.11.1993 – 15 Sa 1592/93, DB 1994, 148 = BB 1994, 436) oder aber, wenn der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers weggefallen ist (LAG Hamm v. 2.3.2012 – 10 Sa 1086/11, juris).
Rz. 29
Da mit der einstweiligen Verfügung auf tatsächliche Beschäftigung keine Sicherungsverfügung, sondern eine auf Befriedigung gerichtete Leistungsverfügung begehrt wird, sind nach der wohl noch h.M. an den Verfügungsgrund strenge Anforderungen zu stellen. So ist es dieser Ansicht zufolge erforderlich, dass der Arbeitnehmer über die bloße, durch seine Nichtbeschäftigung verursachte Rechtsbeeinträchtigung hinaus ein ernsthaftes Bedürfnis an einer Eilentscheidung glaubhaft macht, z.B. die von tatsächlicher Beschäftigung abhängige Erlangung oder Sicherung einer beruflichen Qualifikation oder zur Vermeidung von unverhältnismäßigen Eingriffen in sein Persönlichkeitsrecht (LAG Rheinland Pfalz v. 8.5.2018 – 8 SaGa 1/18, juris; LAG Köln v. 10.2.2017 – 4 SaGa 3/17; LAG Berlin-Brandenburg v. 16.3.2011 – 4 SaGa 2600/11, NZA-RR 2011, 551; LAG Düsseldorf v. 1.6.2005 – 12 Sa 352/05, MDR 2005, 1419). Eine andere Auffassung vertreten u.a. das LAG Hamburg, das LAG Nürnberg und die 3. Kammer des LAG Köln. Hiernach setzt die Durchsetzung des Beschäftigungsanspruchs kein gesteigertes Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers voraus. Vielmehr folge der Verfügungsgrund bereits aus dem Umstand, dass der Beschäftigungsanspruch mit jedem Tag der Nichtbeschäftigung wegen Zeitablaufs nicht nachholbar sei und daher endgültig untergehe (LAG Köln v. 17.2.2021 – 3 SaGa 2/21, juris; LAG Hamburg v. 23.8.2017 – 5 SaGa 2/17, juris; LAG Nürnberg v. 15.9.2015 – 7 SaGa 4/15). Der Arbeitgeber habe im Rahmen der Interessenabwägung den Ausnahmetatbestand, dass sein Interesse an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers schutzwürdig sei und das allgemeine Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers überwiege, konkret dazulegen und zu beweisen. Dies sei etwa bei einem Wegfall der Vertrauensgrundlage oder bei einem Auftragsmangel der Fall (LAG Hamburg v. 23.8.2017 – 5 SaGa 2/17, juris).
Rz. 30
Die Erfüllung des Beschäftigungsanspruches kann der Arbeitnehmer nach § 888 Abs. 1 ZPO mittels eines Antrages auf Erlass eines Zwangsgeldes, ggf. auf Anordnung von Zwangshaft vollstrecken (LAG Berlin v. 19.1.1978 – 9 Ta 1/78, BB 1979, 1404).
Rz. 31
Sofern der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrages geschuldete Leistung im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen will, scheidet der Erlass einer einstweiligen Verfügung aus. Aufgrund des Grundsatzes der persönlichen Arbeitsleistung (s. § 21 Rdn 818), handelt es sich bei der Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers in den meisten Fällen um eine unvertretbare Handlung. Die Durchsetzung einer unvertretbaren Handlung kann mithilfe einer einstweiligen Verfügung nicht erreicht werden, da eine Vollstreckung nach § 888 Abs. 2 ZPO nicht möglich ist. Eine einstweilige Verfügung ist deshalb in einem solchen Fall unzulässig (s. § 21 Rdn 818; LAG Hamburg v. 18.7.2002 – 3 Ta 18/02, NZA-RR 2003, 104; Schaub/Linck, ArbRHB, § 45 Rn 66; a.A. LAG Baden-Württemberg v. 22.5.1968 – 4 Ta 4/68, BB 1968, 752).
Rz. 32
Schuldet der Arbeitnehmer vertretbare Dienste, ist eine Ersatzvornahme gem. § 887 ZPO möglich. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung scheidet jedoch mangels des Vorliegens eines Verfügungsgrundes ebenfalls aus. Der Arbeitgeber ist vielmehr auf den Weg des Schadensersatzprozesses im Hauptsacheverfahren zu verweisen (GMP/Schleusener, ArbGG, § 62 Rn 107).