I. Allgemeines
Rz. 69
Wird die Fahrerlaubnis im Urteil nicht entzogen, stellt sich die Frage der Entschädigung, denn wegen einer ungerechtfertigten vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis ist ein Betroffener zu entschädigen, wenn er nicht grob fahrlässig gehandelt hat (§ 5 Abs. 1 S. 3 und Abs. 2 StrEG).
Rz. 70
Wegen des Ausnahmecharakters dieser Vorschrift ist bei der Beurteilung des Verhaltens des Beschuldigten ein strenger Maßstab anzulegen und in Zweifelsfällen gegen einen Ausschluss der Entschädigung zu entscheiden (LG Bremen zfs 2004, 380).
II. Kein Entzug lediglich wegen Zeitablaufs
Rz. 71
Ein Entschädigungsanspruch steht dem Betroffenen selbstverständlich dann nicht zu, wenn die Fahrerlaubnis lediglich im Hinblick auf die lange vorläufige Entziehung gem. § 111a StPO nicht endgültig entzogen wurde (OLG Düsseldorf DAR 2001, 38).
III. Alkohol
Rz. 72
Grob fahrlässig verhält sich, wer in ungewöhnlichem Maß die Sorgfalt außer Acht lässt (BayObLG NZV 1994, 285). Fahren unter Alkoholeinfluss ist stets grob fahrlässig, wenn der Alkoholwert im kritischen Bereich liegt.
Rz. 73
Ein Teil der Rechtsprechung verneint grobe Fahrlässigkeit, wenn der BAK-Wert unter 0,8 ‰ liegt (OLG Köln DAR 1976, 81; OLG Düsseldorf DAR 1978, 166). Eine andere Auffassung schließt regelmäßig den Entschädigungsanspruch dann aus, wenn das Atemalkoholgerät im Vortest mindestens 0,8 ‰ anzeigte, mag die später entnommene Blutprobe auch darunter gelegen haben (LG Düsseldorf DAR 1991, 272).
Rz. 74
Soweit ersichtlich, gibt es derzeit noch keine aus der Zeit nach der Herabsetzung des Gefahrengrenzwertes stammende Rechtsprechung. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass spätestens, seitdem das Führen eines Kraftfahrzeuges mit 0,5 ‰ ebenfalls mit einem Fahrverbot geahndet wird, die Alkoholwerte der vorgenannten Entscheidungen auf 0,5 ‰ herabzusetzen sind. Aus diesem Grund bestehen Zweifel, ob die gegenteilige Rechtsprechung wie z.B. AG Cottbus (zfs 2000, 38), das bei unter 0,8 ‰ liegenden Werten grundsätzlich grobe Fahrlässigkeit verneinen will, auch unter den neuen Grenzwerten noch gilt.
Achtung: Verschweigen eines Nachtrunkes
Hat der Betroffene Angaben zur Alkoholaufnahme gemacht, aber einen erheblichen Nachtrunk verschwiegen, kann dies zum Ausschluss eines Entschädigungsanspruches führen (LG Saarbrücken NZV 2019, 105).
IV. Drogen
Rz. 75
Der Drug-Wipe-Test ist selbst als Vortestverfahren für Drogenkonsum ungeeignet. An ein mit ihm gewonnenes positives Vortestergebnis kann daher regelmäßig nicht der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit des Fahrers geknüpft werden (LG Bremen zfs 2004, 380).
V. Kein Widerspruch
Rz. 76
Die Entschädigungspflicht besteht auch dann, wenn der Betroffene, um eine zwangsweise Sicherstellung zu vermeiden, den Führerschein freiwillig herausgegeben hat (OLG Hamburg NJW 1972, 1477). Die Tatsache, dass der Betroffene keinen Widerspruch erhoben hat, kann ihm nicht als den Ersatzanspruch ausschließende grobe Fahrlässigkeit angelastet werden (LG Frankfurt NZV 1995, 164).
VI. Freispruch aufgrund Verwertungsverbotes
Rz. 77
Nach Auffassung des OLG Karlsruhe (StraFo 1997, 304) soll dem Betroffenen selbst im Falle eines Freispruches die Entschädigung dann versagt werden können, wenn der Freispruch lediglich wegen eines Verwertungsverbotes erfolgt war.
Rz. 78
Es ist der Auffassung, das wegen Verstoßes gegen Belehrungspflichten nach § 136 Abs. 1 S. 2 bzw. § 163a Abs. 4 S. 2 StPO bestehende Verwertungsverbot entfalte für die im Rahmen der nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz zu treffenden Entscheidung keine Fernwirkung.
VII. Freispruch mangels Nachweises der Fahrereigenschaft
Rz. 79
Der mangels Nachweises der Fahrereigenschaft Freigesprochene hat auch dann einen Entschädigungsanspruch wegen der vorläufigen Einbehaltung der Fahrerlaubnis, wenn er sich geweigert hat, den tatsächlichen Fahrer preiszugeben. Die Identität des Fahrers ist nämlich kein "wesentlicher, entlastender Umstand" i.S.d. § 6 Abs. 1 S. 1 StrEG (LG Münster zfs 2001, 566).
VIII. Verfahrenseinstellung gem. § 153 Abs. 2 StPO durch die Berufungsinstanz
Rz. 80
Nach Auffassung des OLG Braunschweig (NZV 2014, 137) soll bei einer solchen Einstellung ein Entschädigungsanspruch des Beschuldigten nach § 3 StrEG wegen der in erster Instanz erfolgten vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nur dann in Betracht kommen, wenn sich der nach § 111a StPO erlassene Beschluss als grob unverhältnismäßig oder rechtsmissbräuchlich darstellt.
IX. Unvertretbare Anklageerhebung
Rz. 81
Im Falle einer amtspflichtwidrigen (unvertretbaren) Anklageerhebung ist generell ein Amtshaftungsanspruch gegeben und der Betroffene zu entschädigen (BGH zfs 2000, 382).
X. Unberechtigte Entziehung einer EU-Fahrerlaubnis
Rz. 82
Wurde eine nach den Grundsätzen der EuGH-Rechtsprechung wirksam erworbene ausländische Fahrerlaubnis zu Unrecht entzogen, hat dies Schadensersatzansprüche zur Folge (LG Neuruppin NZV 2009, 250).
XI. Höhe
Rz. 83
Es werden nur konkrete adäquate Vermögensnachteile ersetzt (BGH NJW 1975, 2341). Abstrakter Schaden, wie Nutzungsausfall, wird nicht erstattet (OLG Düsseldorf VersR 1973, 1148).
Rz. 84
Entschädigt wird der Betroffene nur, soweit dies der Billigkeit entspricht (§§ 3, 4 StrEG). Dies verpflichtet den Anspruchsteller, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Unter Umständen ist es ihm zuzumuten, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen (LG Flensburg NZV 1990, 396).