A. Verschuldensunabhängig
Rz. 1
Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist eine verschuldensunabhängige Maßregel der Besserung und Sicherung, die sich alleine an der Sicherheit des Straßenverkehrs zu orientieren hat (BGH zfs 2005, 464). Sie hat nur den Zweck, ungeeignete Kraftfahrer vom Verkehr auszuschließen. Ihre Anwendung und Dauer hängt deshalb ausschließlich von der Ungeeignetheitsprognose und nicht von der Schwere von Tat und Schuld ab (BGH DAR 2003, 563).
Rz. 2
Obwohl sie weder straf- noch strafähnlichen Charakter hat, setzt ihre Anwendung bei einem schuldfähigen Täter eine Verurteilung voraus und ist deshalb im Falle der Verwarnung mit Strafvorbehalt nach § 59 StGB nicht zulässig. Sie ist andererseits aber bei einem wegen Schuldunfähigkeit oder nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit erfolgtem Freispruch (BGH NJW 1960, 540) und auch neben einer Unterbringung nach § 63 StGB (LG Meiningen NZV 2007, 97) zulässig.
Rz. 3
Die durch das Strafrecht vorgegebene Möglichkeit, die Fahrerlaubnis ohne eigenständige Prüfung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit zu entziehen, ist verfassungskonform, da die Verhältnismäßigkeit bereits bei der Feststellung der Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 S. 1 StGB geprüft sind (BGH NJW 2004, 3499).
Rz. 4
§ 69 StGB kennt zwei, insbesondere im Hinblick auf die unterschiedlich hohen Begründungsanforderungen zu unterscheidende Entziehungstatbestände, nämlich zum Ersten den wegen einer im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangenen Straftat gem. § 69 Abs. 1 StGB und zum Zweiten den der Katalogtat des § 69 Abs. 2 StGB, der in der Nr. 1a um das verbotene Kraftfahrzeugrennen nach § 315d StGB erweitert wurde.
B. Im Zusammenhang mit dem Führen eines Kfz oder unter Verletzung der Pflichten eines Kfz-Führers begangene Straftat, § 69 Abs. 1 StGB
Rz. 5
Achtung: Entziehung setzt Führen eines Kfz voraus
Während § 316 StGB für die Strafbarkeit das Führen eines Fahrzeuges ausreichen lässt, ist die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB nur zulässig, wenn der Täter ein Kraftfahrzeug geführt hat. Deshalb kann fahruntüchtigen Führern von Fahrrädern (OLG Oldenburg zfs 1999, 357) – ob Pedelecs oder E-Bikes als Fahrräder oder Kraftfahrzeuge einzuordnen sind, hängt von der Stärke des Antriebs ab (OLG Hamm DAR 2013, 712), während ein Pocket-Bike als Kraftfahrzeug gilt (OLG Dresden DAR 2014, 396) – oder Führern von Schienenfahrzeugen (BayObLG NZV 1993, 239) oder Motorbooten (LG Oldenburg NZV 2008, 50; OLG Brandenburg DAR 2008, 399; OLG Brandenburg zfs 2008, 466; OLG Rostock NZV 2008, 472; a.A. LG Kiel NStZ-RR 2007, 59) vom Strafrichter die Fahrerlaubnis nicht entzogen werden.
I. Indiz-Straftaten
Rz. 6
Bis zur Entscheidung des Großen Senates im Jahre 2005 (zfs 2005, 464) hat die Rechtsprechung überwiegend den Begriff des "Zusammenhangs mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges" sehr weit gefasst. Nach der damals überwiegend vertretenen Auffassung sollte alleine schon eine unter Benutzung eines Kraftfahrzeuges begangene schwerwiegende Straftat regelmäßig zum Führerscheinentzug führen, einen verkehrsspezifischen Gefahrzusammenhang zwischen Tat und Verkehrssicherheit musste danach der Tatrichter nicht feststellen; bei schwerwiegenden Straftaten oder wiederholten Taten unter Benutzung eines Kraftfahrzeuges wurde teilweise noch nicht einmal mehr eine eingehende Würdigung der Täterpersönlichkeit verlangt.
Rz. 7
So hat die Rechtsprechung in bestimmten Straftaten ein äußerst starkes Indiz für die Ungeeignetheit des Täters gesehen, so z.B. im Falle:
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des Fahrens trotz Fahrverbotes (OLG Schleswig VM 66, 93), |
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der Benutzung des Fahrzeuges zur Begehung einer Straftat (OLG Düsseldorf NZV 1992, 331; BGH NZV 1993, 35; siehe aber BGH zfs 2003, 151), |
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der körperlichen Misshandlung eines anderen Verkehrsteilnehmers (BayObLG NJW 1959, 2117) oder einer absichtlich mit dem Fahrzeug herbeigeführten Verletzung (BGH NZV 1998, 418). Das galt selbst dann, wenn die körperliche Misshandlung als Reaktion auf eine vorausgegangene Beleidigung ("Stinkefinger") erfolgte (KG NZV 1997, 127), wobei das LG Berlin (NZV 2003, 151) allerdings verlangte, dass die Erwartung begründet war, der Betroffene werde künftig weitere schwere Pflichtverletzungen begehen und sich bei Belassen der Fahrerlaubnis Gefahren für die Allgemeinheit ergäben, während nach Auffassung des LG Koblenz (NStZ-RR 1996, 117) ein solcher Angriff zumindest mit einem Fahrverbot geahndet werden musste, |
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der vorsätzlichen Beschädigung eines fremden Pkws (LG Zweibrücken DAR 1995, 502), |
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der Überlassung des Fahrzeuges an einen Fahruntauglichen (BGHSt 15, 318), |
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des Widerstandes (§ 113 StGB) zur Verhinderung einer Blutprobe (OLG Hamm VRS 8, 46), |
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des Einschleusens von Ausländern mit einem Fahrzeug (OLG Dresden NZV 2001, 439), |
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der Vergewaltigung einer Mitfahrerin (BGH VRS 36, 265), |
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der Erstattung einer falschen Diebstahlsanzeige zur Vertuschung eines vom Täter verursachten Verkehrsunfalls (OLG Hamm VRS 57, 184), |
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des Begehens eines Betruges gegenüber dem Versicherer im Anschluss an einen Verkehrsunfall (BayObLG VRS 69, 281) bzw. |
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eines Betruges, der dem Täter durch die Fahrerlaubnis erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht wurde (BGH DAR 1966, 91), |
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des Transpor... |