Jürgen Beck, Jürgen Brand
Rz. 75
Im sozialgerichtlichen Verfahren gibt es nur drei Zulassungsgründe:
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die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, |
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das Urteil weicht von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG ab und beruht auf dieser Abweichung oder |
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es wird ein Verfahrensmangel geltend gemacht, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 S. 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. |
aa) Grundsätzliche Bedeutung
Rz. 76
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert Ausführungen zu drei Elementen:
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Rechtsfrage, |
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Klärungsbedürftigkeit und |
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Klärungsfähigkeit. |
Es muss eine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert werden (BSG v. 23.12.2015 – B 12 KR 51/15 B).
Beispiel
Ist ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH nach § 7 Abs. 1 SGB IV auch dann beschäftigt und daher sozialversicherungspflichtig, wenn er zwar in der Gesellschafterversammlung keine Stimmenmehrheit hat, er aber aufgrund ausdrücklicher Regelung in der Satzung der GmbH in der Lage ist, seine Kündigung als Geschäftsführer zu verhindern?
Keine Rechtsfrage ist eine Subsumtionsfrage, z.B. "Ist der Kläger nicht i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV als beschäftigt anzusehen, weil er 2019 seinem Arbeitgeber/Auftraggeber einen Kredit gewährt hat?"
Im Rahmen der Klärungsbedürftigkeit ist in der Beschwerdebegründung dazulegen, inwieweit sich
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weder aus den gesetzlichen Bestimmungen |
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noch aus der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG |
hinreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben. Schließlich ist im Rahmen der Klärungsfähigkeit dazulegen, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfene Frage entscheiden müsste, die Frage also entscheidungserheblich ist. Dies ist nicht der Fall, wenn die Entscheidung der Vorinstanz mit anderer rechtlicher Begründung bestätigt werden kann. Dies ist grundsätzlich auf der Tatsachengrundlage der Vorinstanz zu beurteilen, weshalb sich auch die Darlegungen zu dieser Zulässigkeitsvoraussetzung auf die im angegriffenen Urteil mit Bindungswirkung für das BSG (§ 163 SGG) festgestellten Tatsachen beziehen müssen.
bb) Divergenz
Rz. 77
Eine Divergenz wird dargelegt, indem ein grundlegender Widerspruch zweier divergenzfähiger Gerichte in abstrakt-generellen Aussagen zum Bundesrecht dargelegt wird. Divergenzfähig sind nur das BSG, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes und das BVerfG, nicht aber z.B. das BAG. Die Rechtssätze müssen abstrakt sein. Ein Fehler bei der konkreten Rechtsanwendung, z.B. unter Verkennung der Rechtsprechung des BSG, stellt keine Divergenz dar. Schließlich muss die Divergenz auch entscheidungserheblich sein.
Beispiel
Das LSG formuliert auf Seite 5 der Urteilsgründe: "…" Dem liegt folgender abstrakter Rechtssatz zugrunde: … Demgegenüber formuliert das Bundessozialgericht zu dieser Thematik in seinem Urteil vom … Folgendes: "…". Dem liegt folgender abstrakter Rechtssatz zugrunde: … Beide Rechtssätze sind entscheidungstragend. Sie widersprechen sich aber. …
cc) Verfahrensfehler
Rz. 78
Als Verfahrensfehler kommt grundsätzlich jeder Verstoß gegen eine Norm des Verfahrensrechts in Betracht. Er muss allerdings entscheidungserheblich sein. Nicht gestützt werden kann eine Nichtzulassungsbeschwerde auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 S. 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur dann, wenn der Verfahrensmangel sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
dd) Formalien
Rz. 79
Die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundessozialgericht unterliegt dem Vertretungszwang (§ 73 Abs. 4 SGG) und ist fristgebunden (§ 160a Abs. 1 und 2 SGG). In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 160a Abs. 2 S. 3 SGG). Es empfiehlt sich, die Begründung inhaltlich so abzufassen, dass die behaupteten Zulassungsgründe allein aus der Begründung heraus – also ohne Blick in die angefochtene Entscheidung oder in die Akten – nachvollzogen werden können.