Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 36
Der Berufungskläger kann seinen erstinstanzlichen Antrag einschränken und eine nur teilweise Änderung des angefochtenen Urteils beantragen. Auch eine nur teilweise Anfechtung des Urteils hemmt die Rechtskraft des Urteils insgesamt, wenn Erweiterung des Rechtsmittelantrags noch möglich und solange Anschlussrechtsmittel noch zulässig ist.
Ist also der Beklagte zur Zahlung von 20.000 EUR verurteilt worden und greift er das erstinstanzliche Urteil (zunächst) lediglich im Umfang von 5.000 EUR an, erwächst es dadurch nicht schon in Höhe von 15.000 EUR in Rechtskraft.
Aber OLG Oldenburg MDR 2004, 1199:
Zitat
Das neue Berufungsrecht erfordert eine Modifizierung der bisherigen Rechtsprechung zur Hemmung des Eintritts der Rechtskraft bei Teilanfechtung eines Urteils. Der Teil des Urteils, der mit der Berufung nicht angegriffen wird, auf den der Berufungskläger (etwa mangels Beschwer) die Berufung nicht (mehr) erweitern kann und der nach Ablauf der Anschlussberufungsfrist auch vom Berufungsbeklagten nicht mehr angegriffen werden kann, erwächst in Teilrechtskraft.
Der Berufungsführer kann später seinen Antrag erweitern, ohne der Zustimmung des Berufungsgegners zu bedürfen.
Der Berufungsführer kann also seine Erfolgsaussichten in der Berufungsinstanz zunächst einmal testen; z.B. kann er das Ergebnis der Beweiserhebung abwarten und bei günstigem Ausgang den vorerst eingeschränkten Antrag erweitern.
Rz. 37
Allerdings ist nach gefestigter Rspr. des BGH die Erweiterung des Rechtsmittelantrages nur im Rahmen der Begründung zulässig, wie sie innerhalb der Begründungsfrist dem BerGer vorgetragen worden ist.
Somit wird zwar nicht schon durch den Berufungsantrag, wohl aber durch die Berufungsbegründung der Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen sich der Berufungsgegner auf die Bestandskraft des angefochtenen Urteils verlassen kann.
(Eine zunächst nur teilweise Anfechtung des erstinstanzlichen Urteils birgt auch das Risiko in sich, dass der Berufungsgegner gemäß § 537 ZPO hinsichtlich des nicht angefochtenen Teils beantragt, das Urteil durch Beschluss für vorläufig vollstreckbar zu erklären; er kann dann ohne Sicherheitsleistung vollstrecken.)
Erweitert der Kläger in der Berufungsinstanz gegenüber der ersten Instanz seinen Klageantrag, ändert sich nicht die Höhe des gemäß § 12 Abs. 1 GKG zu zahlenden Kostenvorschusses.
Rz. 38
Klagt jemand beim Amtsgericht einen 5.000 EUR nicht übersteigenden Betrag ein und erhöht er seinen Berufungsantrag, nachdem er im ersten Rechtszug ganz oder teilweise unterlegen ist auf 50.000 EUR, stellt sich die Frage, ob für diese Berufung das Landgericht, als regelmäßiges BerGer nach § 72 Abs. 1 GVG, oder das Oberlandesgericht zuständig ist. Eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts könnte sich aus dem Gesichtspunkt ergeben, dass aufgrund der Klageerweiterung eigentlich das Landgericht erstinstanzlich zuständig gewesen wäre. Der BGH geht trotz des hohen Streitwertes von der Zuständigkeit des Landgerichts aus; die ZPO kennt keine Verweisung des Landgerichts an das Berufungsgericht. Nicht entschieden hat der BGH jedoch die Frage, ob die erstinstanzliche Kammer oder die Berufungskammer des Landgerichts zuständig ist. Dies ist weitgehend umstritten.
Es wird aber die Auffassung vertreten, bei Rüge der Unzuständigkeit durch den Berufungsgegner sei in entsprechender Anwendung des § 506 ZPO auf Antrag des Berufungsführers die Sache an eine erstinstanzliche Kammer des Landgerichts zu verweisen.
Rz. 39
Eine Parteierweiterung auf der Beklagtenseite ist im Berufungsrechtszug nur zulässig, wenn die neuen Beklagten zustimmen oder die Verweigerung der Zustimmung rechtsmissbräuchlich und die Zustimmung damit entbehrlich ist. In der Regel wird ein Missbrauch nur dann vorliegen, wenn es ersichtlich an jedem schutzwürdigen Interesse für die Weigerung fehlt und der neue Beklagte keinerlei irgendwie geartete Schlechterstellung zu befürchten hat.
Missbräuchlich kann eine Zustimmungsverweigerung nicht nur deshalb sein, weil der neue Beklagte die Führung des Rechtsstreits schon bisher maßgeblich beeinflusst hat. Vielmehr kann sich aus der konkreten Prozesssituation ergeben, dass der neue Beklagte keine irgendwie geartete Schlechterstellung zu befürchten hat oder wenn keine Einreden oder Einwendungen gegen die Klage denkbar sind, die nicht auch der bisherige Beklagte hätte geltend machen können.