Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 7
Die Berufung wird unzulässig, wenn nicht innerhalb der Zweimonatsfrist des § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO eine den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO genügende Begründung beim Berufungsgericht eingeht. Welche Anforderungen das sind, ist sowohl der Gesetzesnorm wie auch der einschlägigen Kommentarliteratur nicht leicht zu entnehmen. Dieser Frage wird in Rspr. und Literatur größere Aufmerksamkeit gewidmet; es wurden praktikable Maßstäbe entwickelt, die Anforderungen zu bestimmen. Der Rechtsmittelführer muss damit rechnen, dass seine Begründung einer strengen Prüfung unterzogen wird.
Rz. 8
Die an die Berufungsbegründung zu stellenden Anforderungen bestimmen sich von ihrem Zweck her.
BGH NJW-RR 2016, 80, 81:
Zitat
[D]ie Berufungsbegründung muss nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 ZPO die Bezeichnung der Rechtsverletzung und deren Entscheidungserheblichkeit oder konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen begründen, enthalten. Dazu gehört die aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger angreift und welche Gründe er ihnen entgegensetzt. […]
Es ist klar anzugeben, gegen welche Ausführungen des Urteils sich der Angriff richtet und wie er begründet wird. Hingegen ist es für die Zulässigkeit der Berufung unerheblich, ob die Ausführungen des Berufungsführers schlüssig, hinreichend substantiiert oder rechtlich haltbar sind. Dies ist eine Frage der Statthaftigkeit.
In diesem Fall hatte das BerGer die Anforderungen an den Inhalt einer Berufungsbegründung überspannt, BGH NJW-RR 2022, 731:
Zitat
Zur Verwerfung einer Berufung durch das Berufungsgericht als unzulässig, obwohl die Berufungsbegründung, wenn auch Unzulänglichkeiten bei der Strukturierung der Berufungsgründe aufweisend, den nach der BGH-Rechtsprechung anzulegenden Anforderungen – noch – gerecht wird, also hinreichend erkennen lässt, welche Gründe die Berufung den Erwägungen der Erstgerichts entgegensetzen möchte. Ob das Berufungsvorbringen – hier: Verkennen der Bedeutung einer Mietvertragsregelung aus dem Jahr 1969 über "Instandhaltung der Mieträume" als von der gesetzlichen Instandhaltungspflicht des Vermieters nicht abweichende Regelung; Absehen von der Beweiserhebung über das Vorhandensein von (erheblichen) Mängeln und deren Anzeige gegenüber der Hausverwaltung des Vermieters; kein Vereiteln der Wohnungsbesichtigung durch den Mieter, sondern Verlangen der Hausverwaltung nach einer Besichtigung im Beisein des dieses Ansinnen ablehnenden Rechtsanwalt des Mieters; […] – in sich schlüssig oder rechtlich haltbar ist, ist allein eine Frage der Begründetheit der Berufung.
Die gemäß § 520 Abs. 3 ZPO an die Berufungsbegründung zu stellenden Anforderungen gelten nicht für das Vorbringen des Berufungsbeklagten; er ist nicht verpflichtet, erstinstanzliches Vorbringen zu wiederholen oder auch nur in Bezug zu nehmen.
Rz. 9
Die Berufungsbegründung muss auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und klar erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher und rechtlicher Art das angegriffene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist.
Der BGH hatte in den sog. "Dieselverfahren", bei denen es sich um Massenverfahren handelt, häufiger Anlass zu den Anforderungen an eine Berufungsbegründung Stellung zu nehmen, vgl. z.B. BGH BeckRS 2023, 17046:
Zitat
Eine Berufungsbegründung, welche die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen, ein anderes Verfahren betreffenden Textbausteinen oder allgemeinen Redewendungen rügt oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz verweist, ist unzulässig. Erforderlich ist zudem, dass die Berufung jede selbstständig tragende rechtliche Erwägung des Urteils angreift.
Aber BGH NJW-RR 2022, 642:
Zitat
Einer hinreichenden Rüge des erstinstanzlichen Urteils steht grundsätzlich nicht entgegen, dass die Berufungsbegründung mehrfach auch Textbausteine und abstrakte Passagen verwendet und Erwägungen des LG teils unzutreffend wiedergibt.
Man beachte auch BGH NJW-RR 2022, 1578:
Zitat
Auch wenn die Berufungsbegründung keinen Bezug zu den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils aufweist, genügt es in Fällen mit unstreitigem Sachverhalt, wenn sich ihr entnehmen lässt, welche Rechtsgründe den Erwägungen des Gerichts entgegengesetzt werden sollen.
Der Streitstoff, der den Gegenstand des Rechtsmittels bildet, muss klar gekennzeichnet sein; er ist in solcher Weise zu unterbreiten, dass weder Gegner noch Gericht nachzuforschen brauchen.
Für die Zulässigkeit der Berufung reicht es aber aus, wenn das Urteil in einem Punkt des Streitgegenstandes angegriffen wird; das Urteil unterliegt dann insgesamt der Überprüfung durch das Berufungsgericht, § 529 Abs. 2 ZPO.
Ein Angriff gegen nur einen Punkt des Urteils führt allerdings dann nicht zu einer völligen Überprüfung des angefochtenen Urteils, wenn mehrere Streitgegenstände in einer Klage verbunden sind; dann muss das angefochtene Urteil hinsichtlich jede...