Dr. Wolfgang Kürschner, Dr. iur. Holger Fahl
Rz. 32
Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung der Haftungsbeschränkung in der Binnenschifffahrt im Jahre 1998 haftet nach § 4 BinSchG der Schiffseigner persönlich, kann jedoch seine Haftung auf bestimmte – in Sonderziehungsrechten des Internationalen Währungsfonds ausgedrückte – Haftungshöchstbeträge, die sich an Art und Größe des verwendeten Schiffs orientieren, beschränken. § 4 BinSchG bestimmt, für welche Ansprüche der Schiffseigner seine Haftung beschränken kann. Die Vorschrift entspricht inhaltlich weitgehend Art. 1 Abs. 1 und 2 sowie Art. 2 CLNI, wobei diese Vorschriften in einer dem deutschen Rechtssystem entsprechenden Anordnung wiedergegeben wurden. Abweichend von Art. 1 CLNI regelt § 4 BinSchG nicht, welche anderen Personen als der Schiffseigner zur Beschränkung der Haftung berechtigt sind. Entsprechend der bisherigen Systematik des Binnenschifffahrtsgesetzes stellt § 4 BinSchG allein auf den Schiffseigner ab, der nach § 1 BinSchG im Binnenschifffahrtsrecht als der hauptsächliche Träger der durch den Schifffahrtsbetrieb begründeten Rechte und Pflichten eine zentrale Stellung einnimmt. Die Frage, welche sonstigen Personen die Haftung beschränken können, regelt § 5c BinSchG. Wie im Seerecht kann nunmehr auch im Binnenschifffahrtsrecht die Haftungsbeschränkung durch Errichtung eines Fonds bewirkt oder aber einredeweise geltend gemacht werden, § 5d Abs. 3 BinSchG (vgl. dazu § 305a ZPO und § 786a ZPO).
Rz. 33
In § 5 Nr. 1–Nr. 5 BinSchG sind bestimmte Ansprüche bezeichnet, die nicht der Haftungsbeschränkung nach § 4 BinSchG unterliegen. Die ursprüngliche Planung, auch die Ansprüche wegen Schäden, die durch gefährliche Güter verursacht wurden, von der Haftungsbegrenzungsmöglichkeit auszunehmen, wurde fallengelassen; allerdings gilt für derartige Ansprüche gemäß § 5h BinSchG ein deutlich höherer Haftungshöchstbetrag. Der gesonderte, auf das Dreifache erhöhte Höchstbetrag nach § 5h Abs. 1 S. 1 BinSchG gilt indessen nur, wenn einem Dritten die Schäden durch gefährliche, auf dem Schiff des Schuldners beförderte Güter verursacht wurden. Dies ist nicht der Fall, wenn der an einer Verladeanlage in einem Hafen entstandene Schaden nicht durch die gefährliche Ladung, sondern durch den Schiffskörper herbeigeführt wurde. In den Bereich der beschränkbaren Ansprüche fallen auch solche wegen Ersatzes von Schäden, die bei Lade- und Löschvorgängen entstehen. Es ist nicht erforderlich, dass sich das Schiff in Bewegung befindet.
Rz. 34
Mit dem Gesetz zur Haftungsbeschränkung in der Binnenschifffahrt wollte der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung einen möglichst weitgehenden Schutz des Schiffseigners schaffen, indem er die dem Grundsatz nach lückenlose Möglichkeit der Haftungsbeschränkung nur an einzelnen, klar definierten Stellen durchbrochen hat, wie etwa bei den vertraglich vereinbarten Wrackbeseitigungskosten. Dagegen unterfallen Aufwendungsersatzansprüche, die auf Maßnahmen zur Abwendung weiterer Schäden durch Sicherung der Unfallstelle bis zur Bergung eines gesunkenen Schiffs beruhen, nach dem Gesetzeswortlaut dem Anwendungsbereich der Haftungsbeschränkung nach §§ 4–5m BinSchG.
Rz. 35
Die bestehenden Regelungen werden durch die Umsetzung des Straßburger Übereinkommens vom 27.9.2012 (CLNI 2012) im Zweiten Gesetz zur Änderung der Haftungsbeschränkung in der Binnenschifffahrt modifiziert werden. Die Neuerungen traten zum 1.7.2019 in Kraft, nachdem die in Art. 17 CLNI 2012 vorgesehene Mindestzahl an Staaten, die das Übereinkommen ratifiziert haben, erreicht war. Das CLNI 2012 sieht deutlich erhöhte allgemeine Haftungshöchstbeträge vor und führt – niederländischem und deutschem Vorbild entsprechend – erstmals einen eigenen Haftungshöchstbetrag für Ansprüche wegen Schäden aus der Beförderung gefährlicher Güter ein. Auch die Höchstbeträge für Ansprüche von Reisenden auf Passagierschiffen werden merklich erhöht. Künftig sollen die Höchstbeträge zudem in einem vereinfachten Verfahren regelmäßig der allgemeinen Teuerung angepasst werden können. Die Haftungsbeschränkung kann einredeweise geltend gemacht werden oder durch die Errichtung eines Haftungsfonds (nach §§ 34 ff. SVertO). Mit Errichtung eines Haftungsfonds können Gläubiger, die Ansprüche gegen den Haftungsfonds geltend machen können, keine Rechte mehr gegen das sonstige Vermögen eines Verantwortlichen geltend machen. Auf die tatsächliche Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Haftungsfonds kommt es nach der Neufassung nicht mehr an; es reicht die Möglichkeit dazu. Verbunden mit der geografischen Erweiterung der CLNI 2012 über die Rhein- und Moselanrainerstaaten hinaus kann diese Neuerung europaweite Verbreitung finden und besitzt so das Potential, die Haftung in der Binnenschifffahrt zu harmonisieren.
Rz. 36
Mit dem Übergang vom sog. Exekutionsystem zum Summenhaftungssystem ist eigentlich die früher bestehende Notwendigkeit entfallen, dem Gläubiger als Korrelat für den beschränkten Zugriff allein auf Sc...