Rz. 61
Ist eine Ausgleichungsbestimmung nicht ausdrücklich getroffen worden, so bestehen in der Praxis Auslegungsschwierigkeiten, wie bestimmte Formulierungen auszulegen sind. Nach Ansicht der Rspr. kann aus der Formulierung "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" der Wille des Erblassers entnommen werden, dass der Zuwendungsempfänger den Wert der Zuwendung später im Erbfall zur Ausgleichung zu bringen hat. In seiner Entscheidung vom 23.9.1981, bei der es um die Frage der objektiven Bereicherung im Rahmen eines Anspruchs aus § 2287 BGB ging, hat der BGH ausgeführt, dass die Wendung "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" als Ausgleichungsanordnung zu verstehen ist. Ebenso hat er in seiner Entscheidung vom 12.10.1988 ausgeführt, dass eine Zuwendung "im Wege vorweggenommener Erbfolge" als auf den Erbteil zugewendet anzusehen ist. Das OLG Hamm folgt in seinem Urteil vom 26.5.1998 dieser Rspr., wonach eine "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" erfolgte Grundstücksübertragung an einen Schlusserben eine Ausgleichungsbestimmung nach §§ 2052, 2050 Abs. 3 BGB darstellt und keine Teilungsanordnung. Nach dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt wurde Grundbesitz an einen zum Schlusserben eingesetzten Abkömmling "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" übertragen. Der BGH hat die Revision des unterliegenden Klägers gegen das Urteil nicht zur Entscheidung angenommen, wodurch seine Rspr. bestätigt wurde.
Rz. 62
Mit Urteil vom 27.1.2010 (vorweggenommene Erbfolge und Pflichtteil) hat der BGH seine bisherige Rspr. im Wesentlichen bestätigt. Hiernach ist in Fällen, in denen eine Zuwendung "im Wege vorweggenommener Erbfolge unentgeltlich" erfolgt, durch Auslegung zu ermitteln, ob der Erblasser damit eine Ausgleichung gem. §§ 2316 Abs. 1, 2050 Abs. 3 BGB, eine Anrechnung gem. § 2315 Abs. 1 BGB oder kumulativ Ausgleichung und Anrechnung gem. § 2316 Abs. 4 BGB anordnen wollte. Ausschlaggebend für den Willen des Erblassers ist, ob mit seiner Zuwendung zugleich auch eine Enterbung des Empfängers mit bloßer Pflichtteilsberechtigung festgelegt (Anrechnung) oder aber nur klargestellt werden sollte, dass der Empfänger lediglich zeitlich vorgezogen bedacht wird, es im Übrigen aber bei den rechtlichen Wirkungen einer Zuwendung im Erbfall verbleiben soll (Ausgleichung).
Rz. 63
Wird zu Lebzeiten Vermögen "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" übertragen, so wird hiermit dem Wortlaut nach regelmäßig eine Ausgleichungsverpflichtung des Zuwendungsempfängers verbunden sein. Der Zuwendungsempfänger erhält als künftiger Erbe bereits zu Lebzeiten Gegenstände bzw. Werte aus dem Vermögen des Erblassers, die er sonst erst im Erbfall erworben hätte. Da die Verwendung des Begriffs früher aus steuerlichen Gesichtspunkten seine Notwendigkeit hatte, ist bei der Auslegung des Begriffs aber auch die Form der Darstellung zu berücksichtigen. Wird der Begriff nur zur reinen Vertragsbezeichnung verwendet, aber in den einzelnen konkreten Vereinbarungen hierauf kein Bezug genommen, so wird man hierin keine Ausgleichungsbestimmung sehen können, da ein konkreter Vertragstypus, der eine Ausgleichung im Erbfall mit sich bringt, nicht existiert. Wird hingegen in den einzelnen Vertragsklauseln und Bedingungen die Bestimmung getroffen, dass die Übertragung "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" erfolgen soll und erfolgt dies mit rechtsgeschäftlichem Willen, so ist diese Formulierung dem Wortlaut und der Form nach als Ausgleichungsbestimmung i.S.v. § 2050 Abs. 3 BGB zu qualifizieren.
Rz. 64
Praxistipp (Beweislast)
Genügen Erben im Rahmen ihrer Darlegungs- und Beweislast und tragen – soweit ihnen möglich – konkret zum Wert der Zuwendung vor, obliegt es dem Pflichtteilsberechtigten im Rahmen der ihn treffenden Auskunftspflichten diesem Vorbringen substantiiert zu entgegnen.
Rz. 65
Um unnötige Auslegungsschwierigkeiten in der Praxis zu vermeiden, bietet es sich an, im Rahmen der lebzeitigen Zuwendung eine genaue und exakte Formulierung in dem notariellen Übergabevertrag oder Schenkungsvertrag zu bestimmen. Es sollte insbesondere auseinandergehalten werden, ob nur eine Anrechnung auf den Pflichtteil nach § 2315 BGB oder aber auch eine Ausgleichung nach §§ 2050 ff. BGB und somit auch eine Ausgleichung nach § 2316 BGB im Pflichtteilsrecht erfolgen soll. Im Einzelnen könnte eine Formulierung wie folgt lauten:
Rz. 66
Formulierungsbeispiel: Ausgleichung unter Abkömmlingen nach §§ 2050, 2316 BGB
Der Übernehmer hat den Wert des unter Ziff. (…) übertragenen Grundbesitzes im Verhältnis zu seinen Geschwistern gemäß den Vorschriften der §§ 2050 ff., 2316 BGB zur Ausgleichung zu bringen. Die Ausgleichung soll im Falle der gesetzlichen oder testamentarischen Erbfolge, sofern die Voraussetzungen des § 2052 BGB vorliegen, und gem. § 2316 BGB auch im Rahmen der Pflichtteilsberechnung erfolgen. Eine Anrechnung auf den Pflichtteil nach § 2315 BGB wird nicht vereinbart, so dass es auch nicht zu einer Anwendung des § 2316 Abs. 4 BGB kommt.
Für die Bewertung des...