Rz. 221

Hat der Beklagte die Klageforderung ganz oder teilweise vor deren Anhängigkeit erfüllt, kann er die ganze oder teilweise Abweisung der Klage im Umfang der Erfüllung beantragen. Der Kläger hätte diese Erfüllungshandlung im Rahmen seiner Klageschrift berücksichtigen müssen.

 

Rz. 222

Hat die Erfüllungshandlung nach Einreichung der Klage, d.h. nach Anhängigkeit, aber vor deren Rechtshängigkeit stattgefunden, so muss der Kläger die Klage in diesem Umfange zurücknehmen.

 

Rz. 223

Folge hiervon ist, dass nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO über die Kosten des Rechtsstreites bzgl. des erfüllten Anspruches unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden ist. Die Sachlage ist mithin nicht anders als bei einer Erledigung der Hauptsache nach Rechtshängigkeit, sodass auf die zu § 91a ZPO entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden kann.

 

Rz. 224

 

Hinweis

Die Praxis zeigt, dass die Regelung des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO noch immer nicht jedem Rechtsanwalt bekannt ist, sodass trotz einer vollständigen oder teilweisen Erfüllung des Klageanspruches nach Anhängigkeit aber vor Rechtshängigkeit keine Klagerücknahme erfolgt. War dies bis zum Justizmodernisierungsgesetz mit der Folge verbunden, dass eine spätere Klagerücknahme nicht ohne schuldhaftes Zögern nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO zur vollen Kostentragungspflicht des Klägers geführt hat, ist seitdem das Erfordernis der "unverzüglichen" Klagerücknahme entfallen.

 

Rz. 225

Die Frage, ob eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO voraussetzt, dass die Klage schon zugestellt worden ist, hat der Gesetzgeber mit dem Justizmodernisierungsgesetz ebenfalls entschieden und § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO um einen weiteren Halbsatz ergänzt, wonach über die Kosten nach billigem Ermessen auch dann zu entscheiden ist, wenn die Klage nicht zugestellt wird.

 

Rz. 226

 

Hinweis

Ungeachtet der Frage, ob die Erfüllung nach Anhängigkeit dafür spricht, dass die Forderung von Anfang an begründet war, kann dem Beklagten unter Umständen ein Kostenerstattungsanspruch nach materiellem Recht zustehen. Dies wird darzulegen sein. Auch kann sich ergeben, dass die Klage etwa vor Fälligkeit erhoben wurde.

 

Rz. 227

 

Praxistipp

Hat der Beklagte nach Anhängigkeit die Klageforderung ganz oder teilweise erfüllt und zwingt er damit den Kläger zur Zurücknahme der Klage, muss er neben der Darlegung seiner Erfüllungshandlung sogleich darlegen, warum es dem Sach- und Streitstand nach billigem Ermessen entspricht, dass die Kosten des Verfahrens dem Kläger auferlegt werden.[128]

Dies dürfte jedenfalls dann der Fall sein, wenn der Beklagte entweder keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat (Rechtsgedanke des § 93 ZPO) oder noch nicht im Verzug mit der Leistung war. Anders dagegen sieht es aus, wenn der Beklagte die Klageerhebung provoziert hat und nach Klageandrohung nicht unmittelbar seine Leistungsbereitschaft deutlich macht.[129]

 

Rz. 228

 

Beispiel

In Verkehrsunfallsachen, in denen es sehr häufig zu frühen Klageerhebungen mit anschließenden Zahlungen des Versicherers kommt, ist dem Haftpflichtversicherer, jedenfalls dann, wenn die Haftungslage nicht absolut eindeutig ist, eine gewisse Regulierungsfrist zubilligen, die je nach rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeit des Falles mit vier bis acht Wochen[130] insgesamt zu bemessen ist. Nach Vorlage aller erforderlichen Unterlagen wird regelmäßig eine Bearbeitungsfrist von weiteren zwei Wochen für angemessen gehalten.[131]

Wird die Klage vor Ablauf dieses Zeitraumes anhängig gemacht und leistet dann der Haftpflichtversicherer für die Beklagten ganz oder teilweise nach Anhängigkeit, aber vor Rechtshängigkeit und innerhalb der im zuzubilligenden Regulierungsfrist, so muss der Kläger die Kosten des Verfahrens nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO tragen, wenn er daraufhin die Klage in Höhe der Erfüllungsleistung zurücknimmt.

Hierauf muss der Beklagte jedoch ausdrücklich hinweisen.

 

Rz. 229

Eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes soll auch dann in Betracht kommen, wenn der Anlass zur Klageeinreichung schon vor der Anhängigkeit weggefallen ist, dies dem Kläger aber ohne sein Verschulden nicht bekannt war.[132]

Nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO ist auch dann zu verfahren, wenn ein Prozesskostenhilfegesuch mit einer unbedingten Klageerhebung verbunden wird und sich die Sache dann vor Zustellung der Klage und des Prozesskostenhilfegesuchs erledigt.[133]

Ist der Kläger im Wege des Mahnverfahrens vorgegangen und hat der Beklagte nach Anhängigkeit des Mahnantrages die begehrte Leistung erbracht, so kann auch in diesem Verfahren eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO ergehen. Dabei muss beachtet werden, dass nach der Rücknahme des Mahnantrages durch den Antragsteller, für eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO nicht das Mahngericht zuständig ist, sondern das für die Durchführung des streitigen Verfahrens zuständige Gericht. An dieses ist auch nach Rücknahme des Mahnantrag...

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