Rz. 3

Das Gesetz verlangt eine ordnungsmäßige Verwaltung. Beschlüsse, die nicht "ordnungsmäßiger" Verwaltung entsprechen, sind zwar nicht nichtig, aber anfechtbar (→ § 1 Rdn 45). Ordnungsmäßig ist gem. § 18 Abs. 2 WEG, was "dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen" entspricht. "Insbesondere" zählen dazu die in § 19 Abs. 2 WEG aufgeführten Maßnahmen; aus dem Wort "insbesondere" folgt, dass der Katalog nicht abschließend ist. Bei der Beurteilung, ob ein Beschluss ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, ist vom Standpunkt eines vernünftigen und wirtschaftlich denkenden Menschen auszugehen. Im Falle eines Rechtsstreits (Beschlussanfechtung oder Beschlussersetzungsklage) entscheiden eine Richterin oder ein Richter darüber, ob aus ihrer neutralen Sicht als vernünftige und wirtschaftlich denkende Menschen ein angefochtener Beschluss dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht oder nicht; sie setzen der Mehrheitsmacht mit ihrer eigenen Vernunft eine Grenze, wo die Mehrheit unvernünftig handelt.

 

Rz. 4

Es ist aber seit jeher unstreitig, dass der Gemeinschaft bei der Beurteilung der Frage, was ihr nach billigem Ermessen nützt, ein gewisser Beurteilungsspielraum zur Verfügung steht, "der aus ihrer Verwaltungsautonomie folgt und einer auf Zweckmäßigkeitserwägungen gestützten Ungültigerklärung eines Mehrheitsbeschlusses Grenzen zieht";[4] es ist nicht Aufgabe der Gerichte, eigene Wertungen uneingeschränkt an die Stelle der Wertung der Wohnungseigentümergemeinschaft zu setzen.[5] Denn abgesehen von den seltenen Fällen der "Ermessensreduzierung auf Null" gibt es stets mehrere rechtmäßige Varianten zur Regelung eines Sachverhalts. So kann eine Regelung zu den Ruhe- bzw. Musizierzeiten das Musizieren auf eine Stunde am Tag beschränken, aber auch 2–3 Stunden zulassen (→ § 3 Rdn 46). Ob die im Fall der Anfechtung zuständige Richterin selbst längere Ruhe- und kürzere Musizierzeiten bevorzugen würde (oder umgekehrt), ist nicht ausschlaggebend. Folglich darf ein Beschluss, der sich innerhalb dieses Rahmens hält, nicht für ungültig erklärt werden. Das leuchtet ohne weiteres ein und keine Richterin käme ernsthaft auf die Idee, einen Beschluss, der sich innerhalb eines vertretbaren Rahmens hält, für ungültig zu erklären, nur weil sie selbst sich anders als die Mehrheit entschieden hätte. Somit stellt sich stets die Frage, wann die Grenze des Vertretbaren überschritten wird und ein Gericht eingreifen darf bzw. muss. Das ist zwar prinzipiell eine Frage des Einzelfalls; der BGH hat die Hürden für ein gerichtliches Eingreifen in den letzten Jahren aber kontinuierlich angehoben und den unantastbaren Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum der Gemeinschaft erweitert. Diese restriktive Linie, die der BGH im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Beschlussfassung einführte (→ dazu § 6 Rdn 35), ging mit einer Verschiebung der Maßstäbe einher. Im Rahmen einer Anfechtungsklage wird nach h.M. nicht mehr überprüft, ob ein angefochtener Beschluss ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, sondern danach, ob die Willensbildung fehlerfrei war. Besonders weit geht dabei die Auffassung, die an die Stelle des gesetzlichen Maßstabs der ordnungsmäßigen Verwaltung das "Willkürverbot" setzt. Nach diesem Maßstab kann eine Anfechtung kaum jemals Erfolg haben, denn "willkürlich ist ein Beschluss erst dann, wenn er unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar, sondern schlechthin unhaltbar, offensichtlich sachwidrig oder eindeutig unangemessen ist".[6] Diese Verschiebung der Maßstäbe hat vielfältige Konsequenzen.

 

Rz. 5

Zum einen halten sich die Gerichte bei der Überprüfung von Beschlüssen immer stärker zurück. Das sei wie folgt veranschaulicht: Überprüft eine Richterin einen angefochtenen, "zweifelhaften" Beschluss nach Maßgabe einer Willensbildungskontrolle, lautet ihre Überlegung: "Vernünftige Wohnungseigentümer hätten diesen Beschluss nicht gefasst; aber die Willensbildung war fehlerfrei und wenn man es unbedingt will, kann man es so machen." Sie wird den Beschluss nicht für ungültig erklären, obwohl sie ihn für unvernünftig, womöglich für dem Gemeinschaftsinteresse abträglich hält. Bei einer Ergebniskontrolle kommt die Richterin ebenfalls zum Ergebnis "Vernünftige Wohnungseigentümer hätten diesen Beschluss nicht gefasst" – und wird den Beschluss genau deshalb für ungültig erklären.

 

Rz. 6

Zum anderen wurden – ausgehend von der Prämisse, im Rahmen einer Anfechtungsklage werde die Willensbildung der Wohnungseigentümer und nicht das Beschlussergebnis überprüft – umfassende Informationspflichten entwickelt, "denn die Wohnungseigentümer halten sich nur dann im Rahmen des ihnen in Bezug auf Maßnahmen ordnungsmäßiger Verwaltung zustehenden Beurteilungsspielraums, wenn sie ihre Entscheidung auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage treffen".[7] Der Verstoß gegen die Informationspflichten macht nach h.M. die Willensbildung fehlerhaft. Teilweise wird sogar (in Fortführung einer vom BGH im Zusammenhang m...

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