Rz. 35
Gem. § 18 Abs. 2 WEG kann jeder Wohnungseigentümer von der Gemeinschaft eine ordnungsmäßige Verwaltung und Benutzung des gemeinschaftlichen Eigentums und des Sondereigentums verlangen. Weil Verwaltung und Benutzung gem. § 19 Abs. 1 WEG durch Beschluss geregelt werden, folgt aus § 18 Abs. 2 WEG ein Anspruch auf entsprechende Beschlussfassung, der erforderlichenfalls mit der Beschlussersetzungsklage gem. § 44 Abs. 1 S. 2 WEG durchgesetzt wird. Insbesondere besteht ein Anspruch in den Fällen, die das Gesetz in § 19 Abs. 2 WEG exemplarisch der ordnungsmäßigen Verwaltung zuordnet (Hausordnung, Erhaltung, Versicherung, Erhaltungsrücklage, Wirtschaftsplan, Bestellung eines zertifizierten Verwalters). Ein Anspruch auf Beschlussfassung kann sich ferner aus einer speziellen Vorschrift (z.B. § 20 Abs. 2, 3 WEG: Anspruch auf Gestattung baulicher Veränderungen) ergeben. Der Anspruch auf ordnungsmäßige Verwaltung unterliegt keiner Verjährung und kann deshalb auch nicht verwirkt werden.
Rz. 36
Es ist nun nicht etwa so, dass die Gemeinschaft auf Verlangen eines Wohnungseigentümers verpflichtet wäre, jegliche Beschlüsse zu fassen, die ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen. Denn es kann ebenso ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, einen Beschluss nicht zu fassen, auch wenn er rechtmäßig wäre; und es liegt in der Verwaltungsautonomie bzw. im Beurteilungsspielraum der (Mehrheit der) Wohnungseigentümer, die Entscheidung zwischen zwei rechtmäßigen Varianten (Beschluss fassen/Beschluss nicht fassen) zu treffen. Die Frage ist, in welchen Fällen das Absehen von der Beschlussfassung die Grenzen des zulässigen Beurteilungsspielraums überschreitet, sodass ein einzelner Eigentümer mit gerichtlicher Hilfe eine bestimmte Beschlussfassung gegen den Willen der Mehrheit erzwingen kann. In diesem Zusammenhang geht es wieder um die oben (→ § 6 Rdn 4) schon thematisierte Frage nach der Reichweite des Beurteilungsspielraums bzw. nach der gerichtlichen Kontrolldichte. Seit jeher war unstreitig, dass das Gericht einen Beschluss nur dann in Geltung setzen darf, wenn er für das Zusammenleben der Wohnungseigentümer dringend geboten ist. Der BGH hat die Messlatte für das gerichtliche Einschreiten aber seit 2012 höher gelegt. Demnach ist eine Gemeinschaft nur dann zur Beschlussfassung verpflichtet, wenn das Absehen von der Beschlussfassung "unvertretbar" ist. Dadurch tritt der Begriff "unvertretbar" an die Stelle des gesetzlichen Maßstabs der "ordnungsmäßigen Verwaltung". Die Ergebnisse sind mitunter erstaunlich: So soll bspw. nicht zwangsläufig eine Verpflichtung zur Abberufung eines Verwalters bestehen, "nur" weil ein wichtiger (!) Grund für die Abberufung vorliegt (→ § 10 Rdn 176). Die Auswirkungen dieser restriktiven Rspr. sind seit der WEG-Reform 2020 aber zum Glück abgemildert, weil eine Verwalterabberufung nunmehr auch ohne wichtigen Grund möglich ist.
Rz. 37
In der Lit. wird teilweise vertreten, ein Anspruch auf Beschlussfassung könne nur bestehen, wenn der begehrte Beschluss unverzichtbar sei. Diesem Kriterium ist noch weniger zuzustimmen als dem Kriterium der "Unvertretbarkeit". Würde man damit Ernst machen, könnte eine ordnungsmäßige Verwaltung kaum jemals durchgesetzt werden, denn was ist schon wirklich unverzichtbar? Bspw. existieren zahllose Gemeinschaften jahrelang unter Verstoß gegen jegliche Bestimmungen des Wohnungseigentumsgesetzes; also ist – wenn man so will – das gesamte Gesetz verzichtbar. Soll daraus folgen, dass ein Wohnungseigentümer nicht verlangen kann, dass ein Verwalter bestellt, ein Wirtschaftsplan aufgestellt, das Gebäude repariert wird usw.?
Rz. 38
Im alten Recht wurde ein Anspruch auf gemeinschaftliche Beschlussfassung in solchen Fällen verneint, in denen der Wohnungseigentümer auf die Beschlussfassung nicht angewiesen war, weil er sein Ziel mittels individueller Ansprüche erreichen kann. Das war insbesondere bei Störungen des Gemeinschaftseigentums der Fall, gegen die bis zur WEG-Reform 2020 Wohnungseigentümer aus eigenem Recht vorgehen konnten. Nach dem geltenden Recht ist die individuelle Rechtsverfolgung deutlich eingeschränkt, weshalb jedenfalls bei Störungen des Sondereigentums ein Anspruch auf Beschlussfassung besteht (→ § 4 Rdn 126).