Rz. 206
BGH, Urt. v. 19.9.2017 – VI ZR 530/16, VersR 2017, 1412
Zitat
§ 252 BGB, § 287 ZPO
Zu den im Rahmen der Bemessung des Erwerbsschadens an die Darlegung der hypothetischen Entwicklung des Geschäftsbetriebs eines Selbstständigen (hier: Zahnarztpraxis) zu stellenden Anforderungen.
Orientierungssatz juris:
An die schwierige Darlegung der hypothetischen Entwicklung des Geschäftsbetriebs eines Selbstständigen dürfen keine zu strengen Maßstäbe angelegt werden. Die Klage darf nicht wegen lückenhaften Vortrags zur Schadensentstehung und Schadenshöhe abgewiesen werden, solange greifbare Anhaltspunkte für eine Schadensschätzung vorhanden sind (Fortführung BGH, 22.10.1987 – III ZR 197/86, NJW-RR 1988, 410).
I. Der Fall
Rz. 207
Die Beklagten waren dem Kläger aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 26.10.2006 dem Grunde nach uneingeschränkt zum Schadensersatz verpflichtet. Der Kläger, ein selbstständiger Zahnarzt, hatte bei dem Unfall unter anderem eine Verletzung am linken Handgelenk erlitten, die ihn bei seiner zahnärztlichen Tätigkeit dauerhaft beeinträchtigte.
Rz. 208
Mit seiner Klage nahm er die Beklagten auf Schmerzensgeld abzüglich bereits gezahlter 2.000 EUR, Verdienstausfall für sieben Fehltage nach dem Unfall in Höhe von 6.033,08 EUR und für den Zeitraum vom 1.11.2006 bis zum 31.10.2011 in Höhe von weiteren 85.500 EUR, Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten und Feststellung in Anspruch. Das Landgericht hat die Beklagten zur Zahlung von (weiterem) Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 EUR, Verdienstausfall für sieben Fehltage in Höhe von 6.033,08 EUR sowie Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in entsprechender Höhe verurteilt und die begehrte Feststellung in Bezug auf zukünftige materielle Schäden getroffen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Rz. 209
Das Berufungsgericht hat das Urteil auf die Berufungen beider Parteien unter Berufungszurückweisung im Übrigen abgeändert und – in Höhe von mit der Berufung der Beklagten nicht angegriffener 2.000 EUR Schmerzensgeld klarstellend – dahin neu gefasst, dass die Beklagten zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 7.000 EUR sowie Verdienstausfall in Höhe von 5.824,79 EUR nebst Freistellung verurteilt sind. Die Feststellung hat es auch auf zukünftige immaterielle Schäden erstreckt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Rz. 210
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgte der Kläger seine Ansprüche auf Schmerzensgeld in Höhe von (weiteren) 3.000 EUR und Verdienstausfall für sieben Fehltage im Zeitraum vom 26.10.2006 bis 5.11.2006 in Höhe von zusätzlich 208,29 EUR (6.033,08 – 5.824,79 EUR) und in Höhe von 85.500 EUR für den Zeitraum vom 1.11.2006 bis 31.10.2011 weiter.
II. Die rechtliche Beurteilung
Rz. 211
Die Revision hatte Erfolg. Mit der Begründung des Berufungsgerichts konnte ein Anspruch auf Ersatz des weiter geltend gemachten Verdienstausfalls sowie auf Zahlung weiteren Schmerzensgeldes nicht verneint werden, §§ 842, 249 Abs. 1, § 252 Satz 2, § 253 Abs. 2 BGB, § 287 Abs. 1 ZPO.
Die Revision rügte zu Recht, dass das Berufungsgericht keinen über einen Betrag von 5.824,79 EUR hinausgehenden Verdienstausfallschaden des Klägers hat feststellen können. Zwar ist die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruches in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Richter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Solche Rechtsfehler hatte die Revision hier indes aufgezeigt.
Rz. 212
Der Ausfall der Arbeitskraft als solcher ist kein Vermögensschaden. Dem in seiner Arbeitsfähigkeit Geschädigten entsteht ein gegebenenfalls zu ersetzender Vermögensschaden erst dann, wenn sich der Ausfall oder die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit konkret und sichtbar ausgewirkt hat. Das muss sich allerdings nicht im Verlust bisher bezogener Einnahmen zeigen, sondern kann auch dadurch sichtbar werden, dass ohne die Schädigung zu erwartende, gegebenenfalls auch gesteigerte Gewinne nicht gemacht werden konnten.
Rz. 213
Wie der Senat wiederholt ausgesprochen hat, bedarf es daher bei selbstständig Tätigen zur Beantwortung der Frage, ob diese einen Verdienstausfallschaden erlitten haben, der Prüfung, wie sich das von ihnen betriebene Unternehmen ohne den Unfall voraussichtlich entwickelt hätte. Für die Grundlagen der danach erforderlichen Prognose des erzielbaren Gewinns ist nicht auf den Zeitpunkt des Schadensereignisses, sondern auf denjenigen der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen.
Rz. 214
Dabei kommen dem Geschädigten die Darlegungs- und Beweiserleichterungen nach § 252 BGB, § 287 ZPO zugute. Diese Erleichterungen ändern nichts daran, dass es im Rahmen der notwendigen Prognose des entgangenen Gewinns im Sinn des § 252 Satz 2 BGB ebenso wie für die Ermittlung des Erwerbsschadens nach § 287 ZPO konkreter Anknüpfungstatsachen bedarf, die der Geschädigte darlegen und zur Überzeugung des Gerich...