Rz. 127

Ausgehend von dem allgemeinen Verständnis des gemeinen Werts hat der Gesetzgeber in § 11 Abs. 2 S. 1 BewG zur Bestimmung des gemeinen Werts im Falle von Betriebsvermögen eine Verfahrenshierarchie verankert: Sofern der gemeine Wert nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften nicht aus Verkäufen unter fremden Dritten innerhalb des letzten Jahres vor dem Bewertungsstichtag abgeleitet werden kann, ist er unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Gesellschaft oder einer anderen anerkannten, üblichen Methode zu ermitteln.[234]

 

Rz. 128

Der gemeine Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften wird somit vorrangig aus stichtagsnahen Veräußerungen an fremde Dritte abgeleitet, die zum Bewertungszeitpunkt weniger als ein Jahr zurückliegen. Liegen derartige Verkäufe nicht vor, so ist der gemeine Wert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Gesellschaft nach der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nicht-steuerliche Zwecke üblichen Methode zu ermitteln. Dabei ist die Methode anzuwenden, die ein Erwerber der Bemessung des Kaufpreises zugrunde legen würde. Hierbei wird i.d.R. eine Ertragsbewertung nach den Grundsätzen des IDW S 1 vorgenommen (objektivierter Unternehmenswert). Gutachterliche Stellungnahmen nach den Grundsätzen des IDW S 1 sind für steuerliche Zwecke prinzipiell akzeptiert.[235] Der Steuerpflichtige kann grundsätzlich zwischen der Vorlage eines "methodisch nicht zu beanstandenden Gutachtens"[236] und dem vereinfachten Ertragswertverfahren nach §§ 199 bis 203 BewG wählen. Nach § 199 Abs. 1 und 2 BewG steht die Anwendbarkeit des vereinfachten Ertragswertverfahrens unter dem Vorbehalt, dass dieses Verfahren nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt.

 

Rz. 129

Da der Begriff der "offensichtlich unzutreffenden Ergebnisse" nicht legal definiert ist und auch die Gesetzesbegründung keinen Aufschluss darüber gibt, was hierunter zu verstehen ist, stellt sich die Frage, ab wann ein offensichtlich unzutreffendes Ergebnis vorliegt. Seitens des Gesetzgebers und der Finanzverwaltung werden hierfür keine Schwellenwerte genannt, sondern auf qualitative Merkmale (bspw. zeitnahe Verkäufe oder Ergebnisse von Erbauseinandersetzungen) abgestellt.[237] Auch in der Literatur haben sich keine eindeutigen Schwellenwerte herauskristallisiert. Erwähnt werden Abweichungen zwischen 20 % und 60 %.[238]

[235] Vgl. Kohl/König, WPg 2018, 1525 f.
[236] Vgl. Milatz, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, § 12 ErbStG Rn 5.
[237] Vgl. Kohl, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 29 Rn 29.221.
[238] Vgl. Kohl, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 29 Rn 29.223.

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