Rz. 59
Die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Nachlass geteilt ist, ist schwieriger zu beantworten, als es auf den ersten Blick scheint. Die Behandlung des Themenkreises erfolgt vertieft in § 8 – Beendigung der Erbengemeinschaft. Zum besseren Leseverständnis sollen hier nur kurze Hinweise auf zwei wesentliche Auffassungen der Diskussion ohne argumentative Auseinandersetzung dargestellt werden:
Nach der wohl überwiegend vertretenen Auffassung ist ein Nachlass dann geteilt, wenn ein so erheblicher Teil der Nachlassgegenstände aus der Gesamthand in das Eigenvermögen der einzelnen Miterben überführt worden ist, dass die Erbengemeinschaft in ihren wesentlichen Bestandteilen als Ganzes aufgelöst erscheint. Nach einer anderen Auffassung soll eine Teilung solange nicht erfolgt sein, wie noch so viele Nachlassgegenstände vorhanden sind, dass sie zur Begleichung der noch offenen Nachlassverbindlichkeiten ausreichen.
Rz. 60
Wurden Nachlassgegenstände bereits vor der eigentlichen Teilung des Nachlasses an die Erben verteilt, stellt sich die Frage, wie diese Nachlassgegenstände im Rahmen der Haftung und insbesondere bezüglich des § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB zu behandeln sind. Hierzu werden verschiedene Lösungsansätze vertreten:
Beispiel
A, B und C sind Miterben zu je ⅓ Anteil. Bei der ersten gemeinsamen Besichtigung der Wohnung des Erblassers (d.h. vor der Teilung des Nachlasses) bittet A die übrigen Erben die Münzsammlung des Erblassers (ca. 20.000 EUR Wert) mitnehmen zu dürfen. Das Münzensammeln habe zu Lebzeiten beide verbunden und er wünscht die Sammlung als Erinnerung an den Erblasser. Er ist dafür selbstverständlich bereit, im Rahmen der Auseinandersetzung entsprechend weniger aus dem Nachlass zu erhalten. B und C sind einverstanden, A nimmt die Sammlung mit.
a) Neuinterpretation des Teilungsbegriffs
Rz. 61
Eine Neuinterpretation des Teilungsbegriffes dahingehend, dass eine Teilung bereits dann vorliegt, wenn einzelne Nachlassgegenstände verteilt wurden, wird überwiegend abgelehnt. Dann käme es schon sehr früh zur Haftung der Erben mit dem jeweiligen Privatvermögen. Diese Bevorzugung der Gläubiger ist durch die Verteilung einzelner Nachlassgegenstände ohne Teilung des Nachlasses nicht gerechtfertigt.
Würde man den Teilungsbegriff neu interpretieren, wäre im Beispielsfall schon bei der ersten Sichtung der Nachlass geteilt. Dies würde die Erben einer unangemessen harten Haftung aussetzen.
b) Rückgewähranspruch für die Gläubiger
Rz. 62
Da Nachlassgegenstände nach der Übertragung zum Eigenvermögen des jeweiligen Erben gehören und der Erbe nach dem Wortlaut des § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB mit seinem außerhalb seines Anteils am Nachlass vorhandenen Eigenvermögen bis zur Teilung nicht haftet, können – einer Auffassung zufolge – auf diese Weise Nachlassgegenstände der Haftung entzogen werden. Dem Nachlassgläubiger, dem dadurch weniger Haftungsmasse zur Verfügung steht, soll mit einem Anspruch auf Rückgewähr nach §§ 1978 Abs. 2, 1991 Abs. 1 BGB geholfen werden. Ein direkter Zugriff auf übereignete Nachlassgegenstände sei nicht notwendig: Da noch keine vollständige Teilung erfolgt ist, sind noch Gegenstände im Nachlass vorhanden, auf die die Gläubiger zugreifen können. Kritiker bemängeln, dass eine doppelte Beschreitung des Rechtsweges drohe: Im ersten Schritt wird dem Gläubiger die Einrede des § 2059 BGB entgegengehalten. Im zweiten Schritt erfolgt dann das Vorgehen gegen den jeweiligen Miterben, der bereits Gegenstände aus dem Nachlass erlangt hat. Zudem erfasse der Rückgewähranspruch nur Situationen, in denen eine Nachlassabsonderung oder die Tatbestände von §§ 1990 bzw. 1992 BGB vorliegen.
In unserem Beispiel könnte sich A nach dieser Lösung zunächst auf § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB berufen und müsste die Sammlung nicht sofort zur Begleichung von Nachlassverbindlichkeiten herausgeben. Nachlassgläubiger könnten A jedoch zwingen, die Sammlung in den Nachlass zurückzuführen, womit Gläubiger Zugriff auf die Sammlung bekämen. Dieses zweistufige Vorgehen ist für den Gläubiger recht kompliziert.
c) Direktzugriff
Rz. 63
Von Vertretern einer weiteren Auffassung wird eine andere Lösung vorgeschlagen. Die verteilten Gegenstände sollen weiter dem Zugriff der Nachlassgläubiger unterliegen. § 2059 BGB wird damit auf das Eigenvermögen beschränkt, das...