Dr. Jörg Kraemer, Frank-Michael Goebel
Rz. 207
Nach § 94 Abs. 1 BGB sind ungetrennte Früchte wesentliche Bestandteile des Grundstücks, auf dem sie wachsen. Sie können deshalb nach § 93 BGB grundsätzlich nicht Gegenstand von eigenen Rechten sein. Deshalb kann auch nicht aufgrund von § 808 ZPO isoliert im Wege der Sachpfändung auf sie zugegriffen werden. Vielmehr unterliegen diese der Zwangsvollstreckung in das Grundstück, d.h. der Immobiliarzwangsvollstreckung.
Rz. 208
Gleichwohl unterwirft § 810 Abs. 1 ZPO die der Immobiliarvollstreckung unterliegenden und mit dem Boden verbundenen Früchte die Pfändung im Wege der Fahrnisvollstreckung, soweit die Immobiliarzwangsvollstreckung noch nicht eingeleitet ist, § 810 Abs. 1 S. 1 letzter Hs. ZPO. Diese können also vor der Beschlagnahme (§§ 20 ff., 146 ff. ZVG) zugunsten eines Immobiliargläubigers durch den Gerichtsvollzieher für den gewöhnlichen Gläubiger gepfändet werden.
Rz. 209
Die von § 810 Abs. 1 ZPO umfassten Früchte sind allerdings enger zu bestimmen als in § 99 BGB. Unter § 810 Abs. 1 ZPO fallen nur die periodisch zu erntenden Früchte, wie
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Getreide, |
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Futterpflanzen, |
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Obst, |
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Gemüse, |
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Kartoffeln, |
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Hackfrüchte, |
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Tabak. |
Rz. 210
Dagegen erfasst § 810 Abs. 1 ZPO nicht die so genannten Rechtsfrüchte sowie sonstige Bodenerzeugnisse, wie Mineralien, Kies, Kohle, Sand, Steine, Lehm, Holz auf dem Stamm und Torf. Auch die zur Dauerbepflanzung bestimmten Pflanzen, wie Bäume und Sträucher, können nicht selbstständig gepfändet werden.
Rz. 211
Hinweis
Wie Grundstücksfrüchte können nach § 810 Abs. 1 ZPO allerdings durch den Gerichtsvollzieher die zum Verkauf bestimmten Bäume und Sträucher einer Baumschule auch ohne vorherige Trennung vom Grundstück an Ort und Stelle gepfändet und versteigert werden. Nach § 811 Nr. 1b ZPO sind sie jedoch dann nicht der Pfändung unterworfen, wenn sie der Sicherung des Unterhalts des Schuldners, seiner Familie und seiner Arbeitnehmer dienen.
Rz. 212
Nach § 810 Abs. 1 S. 2 ZPO ist die Pfändung frühestens einen Monat vor der gewöhnlichen Zeit der Reife zulässig. Der Zeitpunkt ist nach den durchschnittlichen örtlichen Verhältnissen zu bestimmen. Dies soll sichern, dass die Früchte zum Zeitpunkt der Abholung weder überreif noch unreif sind und hierdurch zusätzliche Kosten entstehen oder sie zu dem vorgesehenen Zweck nicht verwendet werden können. Die Früchte sollen so ihren optimalen Verkaufswert erreicht haben.
Rz. 213
Hinweis
Der Gerichtsvollzieher prüft bei der Pfändung, ob es sich bei den Früchten um solche handelt, die bei der Trennung Zubehör im Sinne von § 865 Abs. 2 ZPO, §§ 97, 98 Nr. 2 BGB sind. Sie sind dann der Zwangsvollstreckung entzogen und die Vollstreckung ist unzulässig. Das ist insbesondere bei Futterpflanzen für Vieh des Milch- oder Fleischwirtschaft betreibenden Landwirts als Schuldner der Fall.
Weist der Schuldner den Gläubiger hierauf hin, sind die Früchte durch diesen zur Vermeidung eines kostenträchtigen Rechtsmittelverfahrens freizugeben.
Rz. 214
Die Pfändung ist in geeigneter Weise für jedermann kenntlich zu machen, was nach § 102 Abs. 2 GVGA durch das Aufstellen von Pfandtafeln oder Pfandzeichen erfolgen kann.
Rz. 215
Tipp
Die vorrangigen Realgläubiger, d.h. alle, die ein Recht zur Befriedigung aus dem Grundstück haben (§ 10 ZVG), können der Zwangsvollstreckung nach § 771 ZPO widersprechen (siehe dazu § 16).
Die Drittwiderspruchsklage führt bei der Begründetheit zur Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung auch noch nach späterer Trennung der Früchte. Der Realgläubiger kann sich aber auch mit einem Vorgehen nach § 805 ZPO begnügen, d.h. sich auf seine bevorzugte Befriedigung aus dem Erlös beschränken (siehe dazu § 16).