Dr. Jörg Kraemer, Frank-Michael Goebel
Rz. 220
Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht hat der Gesetzgeber § 811c a.F. in die ZPO eingeführt und damit eine Abkehr von der Pfändbarkeit eines Tieres in Abhängigkeit von seinem Verkehrswert nach § 811 Nr. 14 ZPO a.F. vorgenommen. § 811c ZPO a.F. wurde durch das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes von Gerichtsvollziehern vor Gewalt sowie zur Änderung weiterer zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften und zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes vom 7.5.2021 mit Wirkung zum 1.1.2022 geändert und findet sich nun im Wesentlichen in § 811 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 ZPO.
Rz. 221
Nach § 811 Nr. 8a ZPO gilt ein Tier, welches im häuslichen Bereich und nicht zu Erwerbszwecken gehalten wird, grundsätzlich als unpfändbar. Geschützt ist zudem der objektiv nötige Vorrat an Viehfutter und Streu. Damit hat eine Aufwertung des in der Gemeinschaft mit dem Menschen lebenden Tieres von einer reinen "Sache" zu einem Lebewesen, das eine eigenständige Rücksichtnahme verdient, stattgefunden. Wie immer ist allerdings die Ausnahme wichtiger als der Grundsatz.
Rz. 222
Das Gesetz stellt für die Unterbringung des Tieres auf den "häuslichen Bereich", nicht auf die Wohnung des Schuldners ab. Ein Tier wird im häuslichen Bereich gehalten, wenn es sich in räumlicher Nähe zum Schuldner befindet. Insoweit steht eine Unterbringung in einem Garten, einem Stall, einer Voliere, einem Wohnwagen oder einem Zelt oder auch einer Zweitwohnung der Annahme des häuslichen Bereiches nicht entgegen, wohl aber die Unterbringung in Geschäftsräumen. In den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fallen zudem Tiere, die aus gesundheitlichen Gründen benötigt werden, wie ein Blindenführhund. Ebenso sind Nutztiere pfändungsgeschützt, die der Eigenversorgung dienen.
Rz. 223
Mit dieser Begriffsbildung ist zugleich klargestellt, dass nicht nur Haustiere im herkömmlichen Sinne geschützt werden, sondern auch andere Tiere, die nur in die häusliche Lebenssphäre des Schuldners aufgenommen sind und über die der Schuldner die Entscheidungsgewalt ausübt.
Rz. 224
Der Zuordnung des Tieres zum häuslichen Bereich steht auch nicht entgegen, dass das Tier vorübergehend anderweitig untergebracht ist.
Rz. 225
Beispiel
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Mehrtätige tierärztliche Behandlung in einer Tierklinik |
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Mehrtägige Unterbringung in einer Tier- oder Dressurschule |
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Quarantäne vor einem Auslandsaufenthalt |
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Ausleihe für einen Zuchtzweck |
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Unterbringung in einer Tierpension während der Urlaubszeit |
Rz. 226
Das Tier darf allerdings nicht Erwerbszwecken dienen. Hierbei ist nicht nur der Haupterwerb, sondern auch ein Nebenerwerb zu beachten, wenn dieser nicht gänzlich in den Hintergrund tritt. Das Tier dient insoweit nicht dem Erwerb, wenn es einmalig gegen ein geringes Entgelt für Zuchtzwecke zur Verfügung gestellt wird. In Betracht kommt dann aber eine Unpfändbarkeit nach § 811 Abs. 1 Nr. 8b ZPO (vgl. Rdn 220).
Rz. 227
Nach § 811 Abs. 1 Nr. 8b ZPO sind auch Tiere, die der Schuldner oder eine Person, mit der er in einem gemeinsamen Haus halt zusammenlebt, zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit benötigt, vor Pfändungen geschützt. Dieser Vorschrift liegen die Wertungen zu Grunde, die auch beim Pfändungsschutz für Sachen gelten, die für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit benötigt werden: Es soll sichergestellt werden, dass der Schuldner oder eine Person, mit der er in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebt, den Erwerbsbetrieb fortführen kann. So sind z.B. auch Tiere pfändungsgeschützt, die für eine gewerbliche Tierzucht erforderlich sind. Unerheblich ist für den Pfändungsschutz, ob für die Erwerbstätigkeit eigener oder gepachteter Boden genutzt wird oder ob die Tiere mit Erzeugnissen gefüttert werden, die in dem Betrieb selbst hergestellt wurden. Der Pfändungsschutz gilt gleichermaßen für Haupterwerbs- und Nebenerwerbsbetriebe. Die Frage, ob ein Tier für eine Erwerbstätigkeit benötigt wird, richtet sich danach, welche und wie viele Tiere zur Fortführung des Betriebs notwendig sind. Dies wird je nach Art und Umfang des Betriebs variieren und kann daher nicht im Einzelnen gesetzlich festgelegt werden. Für sämtliche unter § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO fallende Tiere sind auch das erforderliche Futter und die erforderliche Streu pfändungsgeschützt.