Dr. Jörg Kraemer, Frank-Michael Goebel
Rz. 183
Der Gerichtsvollzieher prüft grundsätzlich nur, ob sich die Sache im Gewahrsam des Schuldners befindet, nicht, ob diese auch in seinem Eigentum oder im Eigentum eines Dritten steht. Das ist auch ausdrücklich in § 71 GVGA noch einmal hervorgehoben und gilt uneingeschränkt, wenn der Gläubiger die Pfändung unbeschadet Rechte Dritter verlangt.
Rz. 184
Der Gerichtsvollzieher darf von einer Pfändung grundsätzlich nur absehen, wenn evidentes Dritteigentum vorliegt, etwa bei den ersichtlichen Reparaturgegenständen in der gewerbsmäßigen Werkstatt des Schuldners. Dagegen genügt allein die Tatsache nicht, dass kein Kfz-Brief vorhanden ist, um evidentes Dritteigentum anzunehmen. Entscheidend sind für den Gerichtsvollzieher nach § 71 GVGA allein die äußeren tatsächlichen Verhältnisse.
Rz. 185
Hinweis
Nach § 71 Nr. 2 S. 2 GVGA hat der Gerichtsvollzieher den Gegenstand trotz evidenten Dritteigentums zu pfänden, wenn entweder der Dritte der Pfändung nicht widerspricht – etwa, weil sein Dritteigentum auf einer ohnehin anfechtbaren Rechtshandlung beruht – oder aber der Gläubiger dies ausdrücklich verlangt. Dem gelegentlichen Vorschlag, den Gerichtsvollzieher in diesen Fällen generell anzuweisen, ohne Rücksicht auf das Dritteigentum zu vollstrecken, kann nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Vielmehr ist zu differenzieren, da sich der Gläubiger durch ein solches Vorgehen nicht nur der Gefahr der für ihn kostenträchtigen Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO und für den Fall, dass der Gegenstand zuvor verwertet wurde, Bereicherungsansprüchen aussetzt, sondern auch die Klage auf Schadensersatz nach § 826 BGB in Betracht gezogen werden muss. Entscheidend ist vielmehr, ob nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Dritte die Sache vom Schuldner in anfechtbarer Weise erworben hat (§§ 3 ff. AnfG) oder auf diese Weise geklärt werden soll, ob der Schuldner ein Anwartschaftsrecht an der Sache hat, etwa bei der Sicherungsübereignung an ein Kreditinstitut oder einem Finanzierungsleasing. In diesen Fällen nutzt der Gläubiger nach der Pfändung nämlich § 1006 BGB, um die negativen Folgen abzuwehren.
Rz. 186
Tipp
Weist der Gerichtsvollzieher auf Dritteigentum hin, sollte geprüft werden, ob dieses nur aufgrund einer Sicherungsübereignung oder eines Eigentumsvorbehaltes besteht. In diesem Fall sollte das Anwartschaftsrecht auf die Übereignung der Sache im Wege der Doppelpfändung gepfändet werden (siehe dazu § 8 – Anwartschaftsrecht mit Erläuterungen zur Doppelpfändung und den notwendigen Antragsmustern). Im Einzelfall kann auch geprüft werden, ob der Dritte die Sache vom Schuldner erworben hat und der Rechtserwerb anfechtbar ist.
Rz. 187
Wird die Sache trotz des Dritteigentums gepfändet, weil dieses nicht offensichtlich war, muss der Dritte zunächst den Gläubiger unter Anzeige des tatsächlichen Sachverhaltes zur Freigabe der Sache auffordern und ihm nach § 1006 BGB sein Eigentum nachweisen. Verweigert der Gläubiger auch dann die Freigabe ohne rechtlichen Grund, muss sich der Dritte im Wege der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO (siehe § 16) zur Wehr setzen.
Rz. 188
Hinweis
Der Schuldner kann sich nicht – auch nicht mit der Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO – gegen die Pfändung des Dritteigentums zur Wehr setzen. Da der Gerichtsvollzieher nach § 808 ZPO nur auf den Gewahrsam abzustellen hat, liegt nämlich kein Verfahrensverstoß im Sinne des § 766 ZPO vor. Die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO steht schon nach dem Wortlaut der Norm nur dem Dritten, nicht aber dem Schuldner als dessen Sachwalter zu.
Rz. 189
Besonderheiten bei der Beurteilung der Gewahrsamssituation können sich dann ergeben, wenn es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder eine Personenmehrheit handelt. Hier ist zu unterscheiden:
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Bei juristischen Personen ist auf den Gewahrsam des Organs abzustellen, d.h. der Besitz der Organe wird dem Besitz der juristischen Person gleichgestellt. |
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In gleicher Weise wird beim nichtrechtsfähigen Verein auf den Gewahrsam der Vereinsorgane abgestellt. |
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Bei Personenhandelsgesellschaften wie der OHG oder der KG ist auf den Gewahrsam der geschäftsführenden Gesellschafter als Gewahrsam der Gesellschaft abzustellen. Bei Kommanditisten ist i.d.R. anzunehmen, dass diese Gewahrsam als Besitzdiener für die Organe und damit für die Gesellschaft ausüben. |
Rz. 190
Wird eine Sache im Gewahrsam des Schuldners gepfändet, nimmt der Gerichtsvollzieher diese grundsätzlich an sich. Soweit dadurch Transport- und Lagerkosten entstehen, kann der Gerichtsvollzieher in deren voraussichtlicher Höhe nach § 4 GvKostG einen Vorschuss verlangen. Das kann zu dem Ergebnis führen, dass nunmehr schon die Pfändung nach § 803 Abs. 2 BGB unzulässig wird, weil sich danach ein Überschuss der Verwertung über die Kosten der Zwangsvollstreckung nicht erwarten lässt.
Rz. 191
Tipp
Dies kann der Gläubiger, insbesondere bei der Pfändung eines Pkw, vermeiden, in dem er eine sogenannte Belassenserklärung abgibt, § 107 Abs. 1 S. 2 ...